«Immer«, nahm die Rätin das Wort,»habe ich geglaubt, daß die Musik auf Sie zu stark, mithin verderblich wirke; denn indem bei der Aufführung irgendeines vortrefflichen Werks Ihr ganzes Wesen durchdrungen schien, veränderten sich alle Züge Ihres Gesichts. Sie erblaßten, Sie waren keines Wortes mächtig, Sie hatten nur Seufzer und Tränen, und fielen dann her mit dem bittersten Spott, mit tief verletzendem Hohn, über jeden, der auch nur ein Wort über das Werk des Meisters sagen wollte. – Ja, wenn – «
«O beste Rätin«, fiel Kreisler der Benzon ins Wort, indem er, so ernst und tiefbewegt er zuvor gesprochen, plötzlich den besondern Ton der Ironie wieder aufnahm, der ihm eigen,»das ist nun alles anders geworden. Sie glauben gar nicht, Verehrte, was ich an dem großherzoglichen Hofe artig und gescheut geworden bin. Ich kann mit der größten Seelenruhe und Gemütlichkeit zum ›Don Juan‹ und zur ›Armida‹ den Takt schlagen, ich kann der ersten Sängerin freundlich zuwinken, wenn sie in der merkwürdigsten Kadenz auf den Sprossen der Tonleiter herumhopst, ich kann, wenn der Hofmarschall nach Haydn's ›Jahreszeiten‹ mir zuflüstert: ›C'etoit bien ennuyant, mon cher maître de chapelle‹, lächelnd mit dem Kopfe nicken und eine bedeutungsvolle Prise nehmen, ja ich kann es geduldig anhören, wenn der kunstverständige Kammer- und Spektakelherr mir weitläuftig demonstriert, daß Mozart und Beethoven den Teufel was von Gesang verstünden, und daß Rossini, Pucitta und wie die Männerchen alle heißen mögen, sich à la hauteur aller Opernmusik geschwungen. – Ja, Verehrte, Sie glauben nicht, was ich während meiner Kapellmeisterschaft profitiert, vorzüglich aber die schöne Überzeugung, wie gut es ist, wenn Künstler förmlich in Dienst treten; der Teufel und seine Großmutter könnte es sonst mit dem stolzen, übermütigen Volke aushalten! Laßt den braven Komponisten Kapellmeister oder Musikdirektor werden, den Dichter Hofpoet, den Maler Hofporträtisten, den Bildhauer Hofporträtmeißler, und Ihr habt bald keine unnützen Phantasten mehr im Lande, vielmehr lauter nützliche Bürger von guter Erziehung und milden Sitten!«—
«Still, still«, rief die Rätin unmutig,»halten Sie ein, Kreisler, Ihr Steckenpferd fängt wieder an, sich zu bäumen, nach gewöhnlicher Art und Weise. Übrigens merke ich Unrat, und wünsche jetzt in der Tat recht sehnlich zu wissen, welch ein schlimmes Ereignis Sie zur schnellen, übereilten Flucht aus der Residenz nötigte. Denn auf eine solche Flucht deuten alle Umstände Ihrer Erscheinung im Park.«
«Und ich«, sprach Kreisler ruhig, indem er seinen Blick fest auf die Rätin heftete,»ich kann versichern, daß das schlimme Ereignis, welches mich forttrieb aus der Residenz, unabhängig von allen äußern Dingen, nur in mir selbst lag. Eben jene Unruhe, von der ich vorhin vielleicht mehr und ernster sprach, als gerade nötig, überfiel mich mit stärkerer Macht als jemals, es war meines Bleibens nicht länger. – Sie wissen, wie ich mich auf meine Kapellmeisterschaft bei dem Großherzog freute. Törichterweise glaubte ich, daß, in der Kunst lebend, meine Stellung eben mich ganz beschwichtigen, daß der Dämon in meinem Innern besiegt werden würde. Aus dem wenigen, was ich erst über meine Bildung am großherzoglichen Hofe angebracht, werden Sie, Verehrte, aber entnehmen, wie sehr ich mich täuschte. Erlassen Sie mir die Schilderung, wie ich durch fade Spielerei mit der heiligen Kunst, zu der ich notgedrungen die Hand bieten mußte, durch die Albernheiten seelenloser Kunstpfuscher, abgeschmackter Dilettanten, durch das ganze tolle Treiben einer Welt voll Kunstgliederpuppen, immer mehr und mehr dahin gebracht wurde, die erbärmliche Nichtswürdigkeit meiner Existenz einzusehen. An einem Morgen mußt' ich zum Großherzog, um meine Einwirkung bei den Festlichkeiten, die in den nächsten Tagen stattfinden sollten, zu erfahren. Der Spektakelherr war, wie natürlich, zugegen und stürmte auf mich ein mit allerlei sinn- und geschmacklosen Anordnungen, denen ich mich fügen sollte. Vorzüglich war es ein von ihm selbst verfaßter Prolog, den er, als höchste Spitze der Theaterfeste, von mir komponiert verlangte. Da diesmal, so sprach er zum Fürsten, einen stechenden Seitenblick auf mich werfend, nicht von gelehrter deutscher Musik, sondern von geschmackvollem italienischen Gesange die Rede sein, so habe er selbst einige zarte Melodien aufgesetzt, die ich gehörig anzubringen hätte. Der Großherzog genehmigte nicht nur alles, sondern nahm auch Gelegenheit, mir überhaupt anzudeuten, daß er meine fernere Ausbildung durch eifriges Studium der neueren Italiener hoffe und erwarte. – Wie ich so erbärmlich da stand! – ich verachtete mich selbst tief – alle Demütigungen erschienen mir gerechte Strafe für meinen kindischen, aberwitzigen Langmut! – Ich verließ das Schloß, um nie wieder zurückzukehren. Noch denselben Abend wollte ich meine Entlassung fordern, aber selbst dieser Entschluß konnte mich nicht über mich selbst beruhigen, da ich mich schon durch einen geheimen Ostrazismus verbannt sah. Die Guitarre, die ich zu anderm Beruf mitgenommen, nahm ich aus dem Wagen, den ich, vors Tor gekommen, fortschickte, und lief hinaus ins Freie, unaufhaltsam fort, immer weiter fort! – Schon sank die Sonne, immer breiter und schwärzer wurden die Schatten der Berge, des Waldes. Unerträglich, ja vernichtend war mir der Gedanke, zurückzukehren nach der Residenz. – ›Welche Macht zwingt mich zum Rückweg!‹ so rief ich laut. Ich wußte, daß ich mich auf dem Wege nach Sieghartsweiler befand; ich gedachte meines alten Meisters Abraham, von dem ich Tages zuvor einen Brief erhalten, worin er, meine Lage in der Residenz ahnend, mich wegwünschte von dort, mich zu sich einlud.«—
«Wie«, unterbrach die Rätin den Kapellmeister,»Sie kennen den wunderlichen Alten?«
«Meister Abraham«, fuhr Kreisler fort,»war der innigste Freund meines Vaters, mein Lehrer, zum Teil mein Erzieher! – Nun, Verehrte, wissen Sie ausführlich, wie ich in den Park des wackern Fürsten Irenäus kam, und werden nicht mehr daran zweifeln, daß ich, kommt es darauf an, im Stande bin, ruhig, mit erforderlicher historischer Genauigkeit und so angenehm zu erzählen, daß mir selbst davor graut. Überhaupt kommt mir die ganze Geschichte meiner Flucht aus der Residenz, wie gesagt, so albern vor, und von solcher allen Geist zerstörender Nüchternheit, daß man selbst nicht davon sprechen kann, ohne in erkleckliche Schwachheit zu verfallen. – Möchten Sie, Teure, aber die seichte Begebenheit als krampfstillendes Wasser der erschrockenen Prinzessin beibringen, damit sie sich beruhige, und daran denken, daß ein ehrlicher deutscher Musikus, den, als er gerade seidene Strümpfe angezogen, und sich in einem saubern Kutschkasten vornehm geberdete, Rossini und Pucitta, und Pavesi und Fioravanti, und Gott weiß welche andere inis und ittas, in die Flucht schlugen, sich unmöglich sehr gescheut betragen kann. Verzeihung ist zu hoffen, will ich hoffen! – Als poetischen Nachklang des langweiligen Abenteuers vernehmen Sie aber, beste Rätin, daß in dem Augenblick, da ich, gepeitscht von meinem Dämon, fortrennen wollte, mich der süßeste Zauber festbannte. Schadenfroh trachtete der Dämon eben das tiefste Geheimnis meiner Brust zu Schanden zu machen, da rührte der mächtige Geist der Tonkunst die Schwingen, und vor dem melodischen Rauschen erwachte der Trost, die Hoffnung, ja selbst die Sehnsucht, die die unvergängliche Lieb selbst ist und das Entzücken ewiger Jugend. – Julia sang! —«
Kreisler schwieg. Die Benzon horchte auf, gespannt auf das, was nun nachfolgen würde. Da der Kapellmeister sich in stumme Gedanken zu verlieren schien, fragte sie mit kalter Freundlichkeit:»Sie finden den Gesang meiner Tochter in der Tat angenehm, lieber Johannes?«