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«Was hat er Ihnen denn erzählt?«fragte ich.

«Er hat sich Sorgen über Ihre Praxis gemacht«, antwortete sie.

«Damals hatte ich noch keine«, antwortete ich.

«Jetzt haben Sie eine«, stellte sie fest.

«Gerade erfolgreich ist sie freilich nicht«, gab ich zu.

«Er hat mich über den Auftrag informiert, den er Ihnen gegeben hat«, fuhr Hélène fort. \^»Ich weiß«, antwortete ich.

«Sie nehmen ihn an?»

«Ich habe mich dazu entschlossen.»

«Ich bin über die Bedingungen im Bilde«, sagte sie.»Hier ist der Scheck für den Vorschuß. Fünfzehntausend. Weitere zehntausend für Spesen.»

Hélène überreichte mir den Scheck. Ich nahm ihn, faltete das Papier zusammen.

«Ihr Vater ist großzügig«, sagte ich.

«Es liegt ihm viel daran, daß Sie seinen Auftrag ausführen«, erklärte sie.

«Ich werde mir Mühe geben.»

Ich schob den Scheck in die Brieftasche. Wir schwiegen. Sie lächelte nicht mehr. Ich spürte, daß sie nach Worten suchte.

«Herr Spät«, sagte sie endlich stockend,»ich bin mir im klaren, daß der Auftrag, den Sie übernommen haben, seltsam ist.»

«Ziemlich.»

«Auch Herr Förder findet es.»

«Glaube ich auch.»

«Aber er muß ausgeführt werden«, verlangte sie bestimmt, fast heftig.

«Weshalb?«fragte ich.

Sie schaute mich flehend an.»Herr Spät. Ich darf Papa nur einmal im Monat sehen. Dann gibt er mir Anweisungen. Seine Geschäfte sind verwickelt, aber seine Übersicht erstaunlich. Was er mir befiehlt, führe ich aus. Er ist der Vater, ich bin die Tochter. Sie verstehen doch, daß ich ihm gehorche.»

«Natürlich.»

Hélène wurde heftig. Ihr Zorn war ehrlich.»Der Privatsekretär und seine Anwälte wollen ihn entmündigen«, gestand sie.»Zu meinen Gunsten, wie sie sagen. Aber ich weiß genau, daß Vater nicht geisteskrank ist. Nun ist der Auftrag gekommen, den Sie übernommen haben. Er ist für den Privatsekretär ein neuer Beweis. Er sei sinnlos, sagte er. Aber ich bin sicher, daß dieser Auftrag nicht sinnlos ist.»

Wir schwiegen wieder eine Weile.

«Auch wenn ich ihn nicht verstehe«, fügte sie leise hinzu.

«Für einen Anwalt, Fräulein Kohler«, antwortete ich dann,»hat der Auftrag, den Mord an Professor Winter unter der Annahme zu untersuchen, Ihr Vater sei nicht der Mörder gewesen, nur dann einen juristischen Sinn, wenn Ihr Vater nicht der Mörder ist. Aber diese Annahme ist unmöglich. Also ist der Auftrag sinnlos. Juristisch sinnlos, aber wissenschaftlich braucht er deshalb nicht sinnlos zu sein.»

Sie schaute mich verwundert an.»Wie soll ich das verstehen, Herr Spät?«fragte sie.

«Ich habe mich in diesem Raum umgeschaut, Fräulein Kohler. Ihr Vater liebte sein Billard und seine naturwissenschaftlichen Bücher…»

«Nur das«, sagte sie bestimmt.

«Eben…»

«Gerade deshalb ist er doch unfähig, einen Mord zu begehen«, unterbrach sie mich.»Er mußte auf eine schreckliche Weise dazu gezwungen worden sein.»

Ich schwieg. Ich fühlte, daß es unanständig gewesen wäre, mit der Wahrheit wie mit einer Kanone aufzufahren. Daß ihr Vater mordete, weil er nichts als sein Billard und seine naturwissenschaftlichen Studien liebte, diese abstruse, blödsinnige Wahrheit konnte ich ihr nicht klarmachen. Es war Unsinn, von meiner Vision zu reden, sie war eine Intuition, keine beweisbare Tatsache.

«Über den Grund dessen, weshalb Ihr Vater verurteilt worden ist, Fräulein Kohler, bin ich nicht informiert«, erklärte ich deshalb vorsichtig,»ich meine etwas anderes. Etwas, was nicht seine Tat, sondern den Auftrag erklärt, den er mir zumutet. Ihr Vater will durch diesen Auftrag das Mögliche erforschen. Das ist sein wissenschaftliches Ziel, wie er behauptet. Ich habe mich strikt daran zu halten.»

«Kein Mensch kann das glauben!«rief Hélène erregt aus.

Ich widersprach.

«Ich habe es zu glauben«, erklärte ich,»denn ich habe den Auftrag angenommen. Er ist für mich ein Spiel, das sich Ihr Vater leisten kann. Andere halten sich Rennpferde. Ich halte das Spiel Ihres Vaters als Jurist für weitaus spannender.»

Sie überlegte.

«Ich bin sicher«, antwortete sie endlich zögernd,»daß Sie den wirklichen Mörder finden werden, jemand, der Papa gezwungen hat zu morden. Ich glaube an Papa.»

Ihre Verzweiflung tat mir leid. Ich hätte ihr gerne geholfen, aber ich war machtlos.

«Fräulein Kohler«, antwortete ich,»ich will ehrlich zu Ihnen sein. Ich glaube nicht, daß ich diesen Jemand finden werde. Aus dem einfachen Grunde, weil es diesen Jemand nicht gibt. Ihr Vater läßt sich nicht zwingen.»

«Sie sind sehr ehrlich zu mir«, sagte sie leise.

«Ich möchte, daß Sie mir vertrauen.»

Sie starrte in mein Gesicht, aufmerksam, finster. Ich wich ihrem Blick nicht aus.

«Ich vertraue Ihnen«, sagte sie dann.

«Ich kann Ihnen nur helfen, wenn Sie jede Hoffnung aufgeben«, sagte ich.»Ihr Vater ist ein Mörder. Sie können ihn nur begreifen, wenn Sie nicht in der falschen Richtung suchen. In Ihrem Vater ist der Grund seines Verbrechens zu suchen, nicht in jemand anderem. Kümmern Sie sich nicht mehr um seinen Auftrag. Er ist meine Angelegenheit.»

Ich stand auf. Sie erhob sich ebenfalls.

«Warum haben Sie den Auftrag angenommen?«fragte Hélène.

«Weil ich Geld benötige, Fräulein Kohler. Machen Sie sich keine falsche Vorstellung von mir. Mag Ihr Vater auch einen wissenschaftlichen Wert in diesem Auftrag sehen, für mich ist er nur eine Möglichkeit, meine Praxis in Fahrt zu bringen, aber Ihnen darf er keine falsche Hoffnung erwecken.»

«Ich verstehe«, sagte sie.

«Ich kann es mir nicht leisten, anders zu handeln, als ich nun handle, ich muß dem Wunsch Ihres Vaters gehorchen. Aber Sie müssen wissen, wem Sie vertrauen.»

«Gerade Sie werden mir helfen«, sagte Hele-ne und reichte mir die Hand.»Ich bin glücklich, Sie kennengelernt zu haben.»

Vor dem Park wartete Lienhard immer noch in seinem Porsche, aber auf dem Beifahrersitz, rauchte immer noch Zigaretten, abwesend, in sich versunken.

«In Ordnung«, sagte ich.»Ich habe den Auftrag angenommen.»

«Auch den Scheck?«fragte er.

«Auch.»

«Schön«, sagte Lienhard.

Ich nahm am Steuer Platz. Lienhard bot mir eine Zigarette an, gab mir Feuer. Ich rauchte, fuhr mit beiden Händen über das Steuerrad, dachte an Hélène und war glücklich. Ich freute mich auf die Zukunft.

«Wie?«fragte Lienhard.

Ich überlegte, fuhr noch nicht an.»Es gibt nur eine Möglichkeit«, antwortete ich.»Für uns ist jetzt Kohler nicht mehr der Mörder. Nun müssen wir mitspielen.»

«Einverstanden.»

«Befragen Sie die Zeugen noch einmal«, fuhr ich fort.»Untersuchen Sie Winters Vergangenheit, welche Bekannten, welche Feinde.»

«Beschäftigen wir uns mit Dr. Benno«, antwortete er.

«Mit dem Olympia-Heinz?«fragte ich verwundert.

«Winters Freund«, erklärte Lienhard.»Und mit Monika Steiermann.»

Monika Steiermann war die Alleinerbin der Hilfswerke Trög AG.

«Warum?«fragte ich.

«Bennos Freundin.»

«Die lassen wir lieber aus dem Spiel«, sagte ich nachdenklich.

«Okay«, antwortete Lienhard. Irgend etwas stimmte nicht.

«Merkwürdig«, sagte ich.

«Was denn?«fragte Lienhard.

«Kohler hat Sie mir empfohlen.»

«Zufall«, sagte Lienhard.

Ich startete und fuhr vorsichtig. Ich hatte noch nie hinter dem Steuerrad eines Porsche gesessen. Auf der Bahnhofsbrücke fragte Lienhard:»Kennen Sie Monika Steiermann, Spät?»

«Ich sah sie nur einmal.»

«Merkwürdig«, sagte Lienhard.

Beim Talacker lud ich ihn aus, fuhr dann aus der Stadt. Irgendwohin. Planlos in den Herbst hinein. Vor das Bild Hélène Kohlers hatte sich das Bild Monika Steiermanns geschoben, ein Bild, das ich vergeblich zu verdrängen suchte.

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