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«Du mußt über dies alles nun nicht nachdenken, Liebster«, sagte Chloé.»Den ganzen Tag habe ich auf dich gewartet, und nun bist du da. Und wie schön du bist. Willst du nicht den Mantel ausziehen? Er ist sicher von O'Neill-Papperer. «Doch wie er sich anschickte, ihn auszuziehen, erkannte er, daß er immer noch die Blumen in den Händen hielt.

«Hier«, sagte er,»weiße Rosen.»

Er wollte ihr die Blumen übergeben und mußte sich weit über das Bett neigen, wurde jedoch von zwei weichen weißen Armen umfaßt und niedergezogen.

«Chloé«, konnte er noch keuchen,»ich habe dir noch gar nicht die Grunddogmen der alneupresbyteranischen Kirche erklärt. «Doch räusperte sich in diesem Augenblick jemand hinter ihm.

Der Weltkirchenrat fuhr hoch, und Chloé kroch mit einem Schrei unter die Decke. Es war der Galeriebesitzer, der vor dem Himmelbett stand, schlotternd, zähneklappernd und naß wie eine Wasserleiche, das Haar in der Stirne in dünnen Strähnen, der Schnurrbart triefend und die Kleider klebend am Leibe, Passaps Drahtplastik in Händen. Von seinen Füßen aus erstreckte sich bis zur Türe eine Lache, glänzend im Kerzenlicht, in der einige Papiersterne schwammen.

Er sei aufgetaut, sagte der Kunsthändler.

Archilochos starrte ihn an.

Er habe die Plastik gebracht, sagte der Galeriebesitzer.

Was er denn wolle, fragte Arnolph endlich verlegen.

Es liege ihm ferne zu stören, antwortete Nadelör, die Ärmel schüttelnd, aus denen das Wasser wie aus Röhren auf den Boden floß, aber er müsse ihn als Christ und Weltkirchenrat bitten, schleunigst einem Arzt zu telephonieren, er fiebere im höchsten Grade, habe Stiche in der Brust und entsetzliche Kreuzschmerzen.

«Bitte«, sagte Arnolph, ordnete seine Kleider und erhob sich.»Die Plastik stellen Sie am besten vielleicht hierher.»

Wie man wünsche, antwortete Nadelör und stellte die Plastik neben das Himmelbett, nicht ohne Ächzen; er habe auch Blasenbrennen.

«Meine Braut«, stellte Archilochos vor und wies auf die Erhöhung der Bettdecke hin.

«Sie sollten sich schämen«, sagte der Kunsthändler, wobei neue Fontänen aus ihm herausquollen,»Sie als Christ…»

«Es ist wirklich meine Braut!«»Sie dürfen auf meine Diskretion zählen.«»Darf ich nun bitten«, sagte Archilochos und drängte Nadelör aus dem Zimmer, doch im Boudoir neben dem Stuhl mit dem Büstenhalter, dem Korsett und den Höschen blieb der Galeriebesitzer aufs neue stehen.

Ein Bad täte ihm gut, meinte er und wies schlotternd nach der offenen Badezimmertüre und dem dampfenden grünen Wasser im Bassin.

«Unmöglich.»

«Sie als Weltkirchenrat…»

«Wie Sie wollen«, entgegnete Archilochos.

Nadelör zog sich aus und stieg ins Bad.

«Gehen Sie nicht fort«, bat er, splitternackt in der Wanne, weichlich, schweißübergossen und mit großen, flehenden, fiebrigen Augen:»Ich könnte ohnmächtig werden.»

Dann mußte ihn Archilochos abreiben.

Der Galeriebesitzer bekam es mit der Angst zu tun.

«Wenn nur der Hausherr nicht kommt«, jammerte er.

«Der Hausherr bin ich.»

«Sie haben doch selbst gesagt…»

«Das Schlößchen ist mir eben übergeben worden.»

Der Mann hatte hohes Fieber und klapperte mit den Zähnen.»Hausbesitzer hin oder her«, sagte er,»ich verlasse dieses Haus nicht mehr.»

«Glauben Sie mir doch«, bat Archilochos,»vertrauen Sie mir doch!»

Einen Rest der Vernunft habe er schließlich noch behalten, keuchte Nadelör und stieg aus dem Bad.»Sie als Christ! Ich bin grenzenlos enttäuscht! Sie sind auch nicht besser als die andern.»

Archilochos hüllte ihn in einen blau gestreiften Bademantel, der im Badezimmer hing.

«Führen Sie mich nun in ein Bett«, stöhnte der Kunsthändler.

«Aber…»

«Sie als Weltkirchenrat…»

«Gut.»

Archilochos führte ihn zum Himmelbett im Renaissancezimmer. Da lag er nun. Er werde jetzt dem Arzt telephonieren, sagte Arnolph.

«Zuerst eine Flasche Kognak«, wünschte der Galeriebesitzer röchelnd und frierend.»Das hilft mir immer, Sie als Christ…»

Er werde im Keller suchen gehen, versprach Archilochos und machte sich müde auf, hinunterzusteigen.

Doch schon auf der Kellertreppe, die er nach einigem Herumirren fand, hörte er ein fernes Johlen im Keller, auch war alles erleuchtet, und wie er die Gewölbe erreichte, fand er seine Ahnung bestätigt: Bruder Bibi lag mit den Zwillingen Jean-Christoph und Jean-Daniel am Boden, inmitten leergetrunkener Flaschen, Volkslieder singend.

«Was kommt dort von der Höh'!«rief Bibi begeistert, als er seinen Bruder erblickte.»Der Onkel Arnolph!»

Was er denn hier mache, fragte Arnolph besorgt.

«Schnäpse buddeln und Töne üben; ein Jäger aus Kurpfalz.»

«Bibi«, sagte Arnolph mit Würde,»ich möchte dich bitten, nicht zu singen. Das ist der Keller meines Hauses.»

«Nun«, lachte Bibi,»da hast du eine Karriere gemacht, die sich sehen läßt. Ich gratuliere dir. Pflanze dich hin, Bruder Arnolph, direktemang auf das Sofa«, und bot dem Bruder ein leeres Faß an, das in einer Rotweinpfütze stand.

«Los, Kinderchen«, forderte er die Zwillinge auf, die affenartig auf Arnolphs Knie und Schultern turnten,»schmettert einen Psalm für Onkelchen.»

«Üb immer Treu und Redlichkeit«, sangen Jean-Christoph und Jean-Daniel mit kreischenden Stimmen.

Archilochos versuchte seine Müdigkeit abzuschütteln.»Bruder Bibi«, sagte er,»ich habe ein für allemal mit dir zu reden.»

«Keine Töne mehr, Zwilling! Aufgepaßt«, lallte Bibi,»Onkel Arnolph will eine Rede halten!»

«Nicht daß ich mich deiner schäme«, sagte Arnolph,»du bist mein Bruder, und ich weiß, daß du im Grunde deines Herzens ein guter und ein stiller Mensch bist, ein vornehmes Wesen. Doch um deiner Schwäche willen muß ich nun streng mit dir sein wie ein Vater. Ich habe dich unterstützt, und es ist schlimmer mit dir und deiner Familie geworden, je mehr Geld ich dir gab, und jetzt liegst du sogar betrunken in meinem Keller.»

«Purer Irrtum, Bruder Arnolph, ich glaubte, der Keller sei der des Kriegsministers. Nur ein purer Irrtum.»

«Um so schlimmer«, antwortete Arnolph traurig,»man bricht nicht in fremde Keller ein. Du endest noch im Zuchthaus. Du gehst nun nach Hause mit deinen Zwillingen, und morgen nimmst du deine Stelle bei Petit-Paysan in der Geburtszangenabteilung ein.»

«Nach Hause? Bei der Kälte«, fragte Bibi erschrocken.

«Ich bestelle dir ein Taxi.»

«Du willst meine zarten Zwillinge erfrieren lassen«, empörte sich Bibi.»In unserer windigen Baracke gehn sie ein bei diesen Temperaturen. Celsius minus zwanzig.»

Vom Nebengewölbe her dröhnte es. Matthäus und Sebastian, zwölf und neun Jahre, brachen hervor, stürzten sich auf den Onkel, kletterten zu den Zwillingen auf seinen Knien und Schultern.

«Werft die Dolche weg, wenn ihr auf das Onkelchen kraxelt, Matthäus und Sebastian«, befahl Bruder Bibi.

«Mein Gott«, fragte Arnolph unter den vier Neffen hervor,»wen hast du denn noch hier?»

«Nur Muttchen und den Onkel Kapitän«, sagte Bibi, eine Flasche Wodka öffnend,»und dann noch Magda-Maria mit ihrem neuen Galan.»

«Mit dem Engländer?»

«Wieso Engländer«, wunderte sich Bibi,»schon lange passé, ist nun ein Chinese.»

Doch als er nun zu Nadelör zurückkehrte, schlief der schon, wenn auch in wilden Fieberdelirien, und einen Arzt anzurufen, war es zu spät. Archilochos war erschöpft. Vom Keller her dröhnten noch immer Gesänge. Er wagte nicht, ein zweites Mal die Sternen- und Kometenspur bis in Chloés Schlafzimmer zu verfolgen, legte sich auf das Sofa, nicht weit vom Stuhl mit dem Büstenhalter und dem Korsett, wo er gleich einschlief, nachdem er seinen Mantel von O'Neill-Papperer endlich ausgezogen und sich damit zugedeckt hatte.

Am Morgen wurde er gegen acht von einer Zofe mit weißer Schürze aus dem Schlaf geschüttelt.

«Rasch, Herr«, sagte die Zofe,»nehmen Sie Ihren Mantel und gehen Sie, nebenan schläft der Hausherr. «Sie öffnete eine Türe, die er vorher nicht bemerkt hatte und die nach einem breiten Korridor führte.

«Unsinn«, sagte Archilochos,»der Hausherr bin doch ich. Der nebenan ist der Galeriebesitzer Nadelör.»

«Oh«, sagte das Mädchen und machte einen Knicks.

«Wie heißt du denn?«fragte er.

«Sophie.»

«Wie alt?»

«Sechzehn Jahre, mein Herr.»

«Bist du schon lange hier?»

«Ein halbes Jahr.»

«Mrs. Weeman hat dich angestellt?»

«Mademoiselle Chloé, Monsieur.»

Archilochos dachte, es müßten da einige Verwechslungen vorliegen, unterließ es aber schamhaft, weiter zu fragen.

«Wünscht der Herr den Kaffee?«fragte das Mädchen.

«Ist Mademoiselle Chloé schon auf?»

«Sie schläft bis neun.»

Dann werde er sich um neun melden, sagte Archilochos.

«Mon Dieu, Monsieur«, schüttelte Sophie den Kopf:»Da nimmt Mademoiselle ihr Bad.»

«Um halb zehn?»

«Wird sie massiert.»

«Um zehn?»

«Kommt Monsieur Spahtz.»

Wer denn dies sei, fragte Archilochos verwundert.

«Der Schneider.»

Wann er denn seine Braut sehen könne, rief Arnolph verzweifelt aus.

«Ah non«, meinte Sophie energisch.»Die Hochzeit wird vorbereitet, da hat Mademoiselle doch viel zu viel zu tun.»

Sie solle ihn ins Frühstückszimmer führen, sagte Archilochos ergeben, er wolle wenigstens essen.

Er aß in jenem Zimmer, in welchem ihm Maître Dutour das Schlößchen übergeben hatte, von einem würdigen ergrauten Butler bedient (überall schien es plötzlich von Kammerdienern und Zofen zu wimmeln); Ei, Schinken (den er stehenließ) wurde serviert, Mokka, Orangensaft, Trauben und duftende Brötchen mit Butter und Konfitüre, während es draußen vor den hohen Fenstern hinter den Bäumen des Parks Tag wurde und die Hochzeitsgeschenke ins Schlößchen zu fluten begannen. Blumen, Briefe, Telegramme, Berge von Paketen. Tutend fuhren die Postwagen vor, stauten sich, immer gewaltiger türmten sich die Geschenke, in der Halle, im Salon, ja vor dem Bett und auf der Decke des vergessenen Galeriebesitzers, der stumm und würdig vor sich hinfieberte.

Archilochos wischte sich mit der Serviette den Mund. Er hatte beinahe eine Stunde gegessen, ernst, schweigend, hatte er doch seit den Nudeln und dem Apfelmus bei Georgette nichts zu sich genommen. Auf dem Büffet standen Flaschen mit Aperitifs und Likören, Zigarrenkisten, duftend, brüchig, Partagas, Dannemann, Costa Penna, bunte Zigarettenschachteln, die erste Anwandlung nach derartigem stieg in ihm auf, erschrocken kämpfte er das Gefühl nieder. Er genoß diese frühe Hausherrenstunde. Zwar verursachten der Gesang und das Gejohle der Bibisippe, das einige Male überdeutlich vom Keller her zu hören war, einige Aufregung: die dicke Köchin, die sich hinunterbegeben hatte, kam arg zerzaust und beinahe vom Onkel Kapitän vergewaltigt zurück.

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