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Es war ein unermeßlicher Estrich, in welchem er sich nun befand, eine Tenne beinahe, ein Balkengewirr mit verschiedenen Böden. Überall standen Negergötzen herum, überall aufgestapelte Bilder, leere Rahmen, Plastiken, seltsam gebogene Drahtgestelle, ein glühender Eisenofen mit einem überlangen, sich grotesk windenden Rohr, überall Wein- und Whiskyflaschen, ausgedrückte Tuben, Farbkübel, Pinsel, überall Katzen, und auf den Stühlen türmten sich Bücher und lagen auf dem Boden herum. In der Mitte des Raums stand Passap in einem offenbar einst weißen Malermantel, nun aufs farbigste bekleckst, und spachtelte an einem Bild auf der Staffelei herum, Parabeln und Ellipsen, während vor ihm, in Ofennähe, ein fettes Mädchen auf einem wackligen Stuhle saß, splitternackt, mit langen blonden Haaren, die Arme hinter dem Nacken verschränkt. Der Weltkirchenrat stand wie versteinert (sah er doch zum ersten Mal eine nackte Frau) und wagte kaum zu atmen.

«Wer sind Sie?«fragte Passap.

Archilochos stellte sich vor, etwas verwundert über die Frage, hatte ihn doch am Sonntag der Maler gegrüßt.

«Was wollen Sie?»

«Sie haben meine Braut Chloé gemalt, nackt«, würgte der Grieche hervor.

«Sie meinen das Bild: >Venus,11. Juli<, das jetzt in der Galerie Nadelör hängt.»

«Eben.»

«Zieh dich an«, herrschte Passap das Modell an, das hinter einem Wandschirm verschwand, betrachtete dann Archilochos lange und aufmerksam, eine Pfeife im Mund, deren Rauch in das Gewirr der Balken kräuselte.

«Und?»

«Mein Herr«, entgegnete Archilochos aufs würdigste,»ich bin ein Verehrer Ihrer Kunst. Ich habe Ihre Tätigkeit mit Begeisterung verfolgt, ja Sie sogar zu Nummer vier meiner Weltordnung erhoben.»

«Weltordnung? Was ist denn das für ein Blödsinn?«fragte Passap, neue Farbberge (Kobaltblau und Ocker) auf seine Palette häufend.

«Ich habe eine Liste der würdigsten Vertreter unserer Zeit verfaßt, eine Liste meiner sittlichen Vorbilder.»

«Nun?»

«Mein Herr, trotz der Begeisterung, die ich für Sie empfinde, trotz meiner Verehrung, muß ich Sie bitten, eine Erklärung abzugeben. Es ist sicher nicht alltäglich, daß ein Bräutigam seine Braut nackt als Venus abgebildet sieht. Auch wenn es sich um ein abstraktes Gemälde handelt, muß doch ein empfindungsvoller Betrachter den Gegenstand erkennen.»

«Allerhand«, sagte Passap,»dazu sind meine Kritiker nicht fähig.»

Dann prüfte er Archilochos aufs neue, trat auf ihn zu, betastete ihn wie ein Pferd, trat wieder einige Schritte zurück und kniff die Augen zusammen.

«Ziehen Sie sich aus«, sagte er dann, goß sich Whisky in ein Glas, trank und stopfte sich eine neue Pfeife.

«Aber…«versuchte Arnolph zu protestieren.

«Kein aber«, herrschte ihn Passap an, mit so bösen kleinen, schwarzen, stechenden Augen, daß Archilochos verstummte.»Ich will Sie als Ares malen.»

«Ares?»

«Der Kriegsgott der Griechen«, erklärte Passap.»Ich habe jahrelang nach dem geeigneten Modell gesucht, nach dem Pendant zu meiner Venus: Sie sind es. Der typische Wüterich, der Liebhaber des Schlachtgetümmels, der Veranstalter von Blutbädern. Sie sind Grieche?»

«Gewiß, aber…»

«Sehen Sie.»

«Herr Passap«, begann Archilochos endlich.»Sie irren sich. Ich bin kein Wüterich, weder ein Veranstalter von Blutbädern, noch ein Liebhaber des Schlachtgetümmels. Ich bin ein friedliebender Mensch, Weltkirchenrat der altneupresbyteranischen Kirche, streng alkoholfrei und enthalte mich jeglichen Rauchens. Außerdem bin ich Vegetarier.»

«Unsinn«, sagte Passap.»Was sind Sie von Beruf?»

«Generaldirektor der Atomkanonenabteilung und der…»

«Da haben wir's«, unterbrach ihn Passap.»Doch ein Kriegsgott. Und ein Wüterich. Sie sind nur gehemmt und noch nie auf die Lebensform gekommen, die Ihnen liegt. Sie sind auch der geborene Säufer und Erotiker, der herrlichste Ares, der mir je vorgekommen ist. Ziehen Sie sich denn also aus, aber schleunigst. Ich habe zu malen und nicht zu schwatzen.»

«Nicht, wenn sich dieses Fräulein noch im Raum befindet, das Sie eben gemalt haben«, protestierte Archilochos.

«Fort mit dir, Catherine. Er schämt sich«, schrie der Maler.»Ich brauche dich erst morgen wieder, meine Fette!»

Das dicke Mädchen mit den blonden Haaren, nun angekleidet, verabschiedete sich. Als sie die Türe öffnete, stand Nadelör vor ihr, schlotternd vor Kälte und vereist.

«Ich muß protestieren«, rief der Kunsthändler heiser.»Ich muß protestieren, Herr Passap, wir haben doch abgemacht…»

«Scheren Sie sich zum Teufel!»

«Ich schlottere vor Kälte«, rief der Kunsthändler verzweifelt aus,»wir haben abgemacht…»

«Erfrieren Sie.»

Das Mädchen schloß die Türe, man hörte sie draußen die Treppe hinuntersteigen.

«Nun«, fragte der Maler Archilochos unwillig,»noch nicht aus den Hosen?»

«Bitte«, antwortete der Generaldirektor und entkleidete sich.»Auch das Hemd?»

«Alles.»

«Die Blumen? Sie sind nämlich für meine Braut.»

«Legen Sie sie auf den Boden.»

Der Weltkirchenrat legte die Kleider säuberlich über einen Stuhl, klopfte sie aus (so verstaubt waren sie durch das mühsame Treppensteigen) und stand endlich nackt da.

Er fror.

«Rücken Sie den Stuhl an den Ofen.»

«Aber…»

«Stehen Sie auf den Stuhl und nehmen Sie eine Boxerstellung ein, die Arme im Winkel von 60°«, befahl Passap.»Gerade so habe ich mir einen Kriegsgott immer vorgestellt.»

Der Stuhl wackelte sehr, doch Archilochos gehorchte.

«Sind stark fett«, brummte der Maler ärgerlich, sich aufs neue Whisky einschenkend,»habe dies nur manchmal bei Weibern gern, doch das läßt sich eliminieren. Die Hauptsache ist die Visage und der Brustkasten. Die vielen Haare darauf sind gut, besonders martialisch. Auch die Schenkel sind noch in Ordnung. Legen Sie aber auch die Brille ab, die zerstört mir sonst die ganze Illusion.»

Dann begann er zu malen, Winkel von 60°, Ellipsen und Parabeln.

«Mein Herr«, begann der Weltkirchenrat von neuem (in Boxerstellung),»Sie sind mir eine Erklärung…»

«Schweigen Sie«, donnerte Passap.»Wenn hier jemand redet, bin ich es. Daß ich Ihre Braut gemalt habe, ist die natürlichste Sache der Welt. Ein grandioses Weib. Sie werden ja ihre Brüste kennen.»

«Mein Herr…»

«Und ihre Schenkel, ihren Nabel.»

«Ich muß doch…»

«Nehmen Sie wieder eine anständige Boxerstellung ein, zum Teufel«, fauchte der Maler, Ocker in dicken Bergen auftragend und dann Kobaltblau.»Nicht einmal nackt kennen Sie Ihre Braut und verloben sich.»

«Sie treten auf meine Blumen. Weiße Rosen.»

«Na wenn schon. Eine Offenbarung, Ihre nackte Braut, mußte mich zwingen, nicht zum plattesten Naturalisten zu werden, oder zum frischfrommfröhlich-freien Impressionisten vor so prächtigem Fleisch, vor einer so atmenden Haut. Ziehen Sie doch den Bauch ein, Herrgott noch einmal! Nie besaß ich ein göttlicheres Modell als Chloé mit ihrem herrlichen Rücken, den vollendeten Schultern und den zwei prallen Hinterbacken, wie die beiden Hälften des Weltgebäudes; man kommt auf kosmische Ideen, sieht man so was. Das Malen machte mir Freude wie lange nicht mehr. Lieb ich doch sonst die Weiber gar nicht zum Malen, nur hin und wieder so eine fette wie eben. Geben künstlerisch nichts Besonderes her, da ist so ein Mann anders: da sind gerade die Abweichungen vom klassischen Ideal das Interessante. Aber bei Chloé! Bei der ist alles noch eine Einheit wie im Paradies, die Beine, die Arme, der Hals wachsen aufs natürlichste aus dem Leib, und der Kopf ist noch ein Weiberkopf. Habe auch eine Plastik davon gemacht: Hier!»

Er wies auf ein wirres Drahtgebilde.

«Aber…»

«Boxerstellung einnehmen«, wies Passap den Weltkirchenrat zurecht, trat dann einige Male zurück, prüfte sein Bild, änderte eine Ellipse, hob die Leinwand von der Staffelei und schraubte eine andere fest.

«So«, befahl er,»jetzt gehen Sie in die Knie. Ares nach dem Schlachtgetümmel. Neigen Sie sich mehr vor, ich habe Sie schließlich nicht alle Tage zur Verfügung.»

Archilochos, verwirrt und vom Ofen halb geröstet, wehrte sich nur noch schwach.

«Ich möchte Sie doch wirklich bitten«, sagte er, wurde jedoch von Nadelör unterbrochen, der in den Estrich hereinschlotterte, ein wandelnder, klirrender Eisklumpen, voll Mißtrauen, ein Bild werde verkauft.

Passap wurde wild.

«Hinaus mit Ihnen!«schrie er, und der Kunsthändler verzog sich aufs neue in die arktische Kälte des Treppenhauses.

«Die Kunst ist meine Erklärung«, sagte dann der Maler endlich, Whisky trinkend, malend und gleichzeitig dem Kater flattierend, der auf seine Schultern geklettert war,»und ob Ihnen diese Erklärung genügt oder nicht, ist mir gleichgültig. Ich habe etwas aus Ihrer nackten Braut gemacht, ein Meisterwerk an Proportionen, an Flächenaufteilung und Rhythmus, an Farbe, an malerischer Poesie, eine Welt von Kobaltblau und Ocker! Sie dagegen wollen aus Chloé etwas ganz anderes machen, wenn Sie die erst einmal nackt zu Ihrer Verfügung haben. Wohl ein Mammachen mit Kinderchen. Sie zerstören ein Meisterwerk der Schöpfung, mein Herr, nicht ich, der ich dieses Meisterwerk verherrliche, ins Absolute, ins Endgültige, ins Traumhafte steigere.»

«Es ist Viertel nach acht«, rief Archilochos erschrocken aus, gleichzeitig durch die Erklärung des Malers erleichtert.

«Nun?»

«Um acht habe ich mit Chloé abgemacht«, erklärte Arnolph ängstlich und wollte, nun von Katzen umschnurrt, von seinem Stuhle steigen.»Sie wartet im Boulevard Saint-Père auf mich.»

«Da soll sie eben weiter warten. Bleiben Sie in Ihrer Stellung«, schrie Passap,»die Kunst ist wichtiger als Ihre Liebesaffäre!«und malte weiter.

Archilochos stöhnte auf. Der Kater, grau mit weißen Pfoten, war nun auf seine Schulter geklettert, und seine Krallen schmerzten ihn.

«Ruhe«, befahl Passap,»bewegen Sie sich nicht.»

«Die Katze.»

«Der Kater ist in Ordnung, nicht Sie«, ärgerte sich der Maler,»wie kann man sich nur einen so enormen Bauch zulegen und dies noch ohne Alkohol.»

In der Estrichtüre kam Nadelör aufs neue zum Vorschein (eisüberzogen, erstarrt). Er sei durchfroren, klagte er, mit einer so heiseren Stimme, daß sie fast nicht zu vernehmen war.

«Kein Mensch befiehlt Ihnen, vor meiner Türe auszuharren, und in meinem Atelier will ich Sie nicht haben«, antwortete Passap grob.

«Sie machen mit mir Geschäfte«, krächzte der Kunsthändler und mußte niesen, brachte jedoch die Hand nicht aus der Tasche, da die Ärmel an der Hose festgefroren waren.

«Im Gegenteil, Sie machen mit mir Geschäfte«, donnerte der Maler.»Hinaus!»

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