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Der Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn: nun sitzt er hier und wartet, alte zerbrochne Tafeln um sich und auch neue Tafeln, — halbbeschriebene.

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Siehe, hier ist eine neue Tafel: aber wo sind meine Brüder, die sie mit mir zu Thale und in fleischerne Herzen tragen?

Also heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten: schone deinen Nächsten nicht! Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss.

Es giebt vielerlei Weg und Weise der überwindung. — da siehe du zu! Aber nur ein Possenreisser denkt:»der Mensch kann auch übersprungen werden.»

überwinde dich selber noch in deinem Nächsten: und ein Recht, das du dir rauben kannst, sollst du dir nicht geben lassen!

Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun. Siehe, es giebt keine Vergeltung.

Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher kann sich befehlen, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch gehorche!

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Also will es die Art edler Seelen: sie wollen Nichts umsonst haben, am wenigsten das Leben.

Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen das Leben sich gab, — wir sinnen immer darüber, was wir am besten dagegen geben!

Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede, welche spricht:»was uns das Leben verspricht, das wollen wir — dem Leben halten!»

Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht zu geniessen giebt. Und — man soll nicht geniessen wollen!

Genuss und Unschuld nämlich sind die schamhaftesten Dinge: Beide wollen nicht gesucht sein. Man soll sie haben —, aber man soll eher noch nach Schuld und Schmerzen suchen! —

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Oh meine Brüder, wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun aber sind wir Erstlinge.

Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir brennen und braten Alle zu Ehren alter Götzenbilder.

Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen. Unser Fleisch ist zart, unser Fell ist nur ein Lamm-Fell: — wie sollten wir nicht alte Götzenpriester reizen!

In uns selber wohnt er noch, der alte Götzenpriester, der unser Bestes sich zum Schmause brät. Ach, meine Brüder, wie sollten Erstlinge nicht Opfer sein!

Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die, welche sich nicht bewahren wollen. Die Untergehenden liebe ich mit meiner ganzen Liebe: denn sie gehn hinüber. —

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Wahr sein — das können Wenige! Und wer es kann, der will es noch nicht! Am wenigsten aber können es die Guten.

Oh diese Guten! — Gute Menschen reden nie die Wahrheit; für den Geist ist solchermaassen gut sein eine Krankheit.

Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, ihr Grund gehorcht; wer aber gehorcht, der hört sich selber nicht!

Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen kommen, dass Eine Wahrheit geboren werde: oh meine Brüder, seid ihr auch böse genug zu dieser Wahrheit?

Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der überdruss, das Schneiden in's Lebendige — wie selten kommt das zusammen! Aus solchem Samen aber wird Wahrheit gezeugt!

Neben dem bösen Gewissen wuchs bisher alles Wissen! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln!

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Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Geländer über den Fluss springen: wahrlich, da findet Keiner Glauben, der da spricht:»Alles ist im Fluss.»

Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm.»Wie? sagen die Tölpel, Alles wäre im Flusse? Balken und Geländer sind doch über dem Flusse!»

«über dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die Brücken, Begriffe, alles» Gut «und» Böse«: das ist Alles fest!»

Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thierbändiger: dann lernen auch die Witzigsten Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Tölpel sprechen dann:»Sollte nicht Alles — stille stehn?»

«Im Grunde steht Alles stille«—, das ist eine rechte Winter-Lehre, ein gut Ding für unfruchtbare Zeit, ein guter Trost für Winterschläfer und Ofenhocker.

«Im Grund steht Alles still«—: dagegen aber predigt der Thauwind!

Der Thauwind, ein Stier, der kein pflügender Stier ist, — ein wüthender Stier, ein Zerstörer, der mit zornigen Hörnern Eis bricht! Eis aber — bricht Stege!

Oh meine Brüder, ist jetzt nicht Alles im Flusse? Sind nicht alle Geländer und Stege in's Wasser gefallen? Wer hielte sich noch an» Gut «und» Böse»?

«Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!«— Also predigt mir, oh meine Brüder, durch alle Gassen!

9

Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und Böse. Um Wahrsager und Sterndeuter drehte sich bisher das Rad dieses Wahns.

Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter: und darum glaubte man» Alles ist Schicksal: du sollst, denn du musst!»

Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern: und darum glaubte man» Alles ist Freiheit: du kannst, denn du willst!»

Oh meine Brüder, über Sterne und Zukunft ist bisher nur gewähnt, nicht gewusst worden: und darum ist über Gut und Böse bisher nur gewähnt, nicht gewusst worden!

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«Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todtschlagen!«— solche Worte hiess man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Köpfe und zog die Schuhe aus.

Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Räuber und Todtschläger in der Welt, als es solche heilige Worte waren?

Ist in allem Leben selber nicht — Rauben und Todtschlagen? Und dass solche Worte heilig hiessen, wurde damit die Wahrheit selber nicht — todtgeschlagen?

Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig hiess, was allem Leben widersprach und widerrieth? — Oh meine Brüder, zerbrecht, zerbrecht mir die alten tafeln!

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Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen, dass ich sehe: es ist preisgegeben,

— der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes Geschlechtes preisgegeben, das kommt und Alles, was war, zu seiner Brücke umdeutet!

Ein grosser Gewalt-Herr könnte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit seiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwänge und zwängte: bis es ihm Brücke würde und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei.

Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres Mitleiden: — wer vom Pöbel ist, dessen Gedenken geht zurück bis zum Grossvater, — mit dem Grossvater aber hört die Zeit auf.

Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn es könnte einmal kommen, dass der Pöbel Herr würde und in seichten Gewässern alle Zeit ertränke.

Darum, oh meine Brüder, bedarf es eines neuen Adels, der allem Pöbel und allem Gewalt-Herrischen Widersacher ist und auf neue Tafeln neu das Wort schreibt» edel».

Vieler Edlen nämlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe! Oder, wie ich einst im Gleichniss sprach:»Das eben ist Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen Gott giebt!»

12

Oh meine Brüder, ich weihe und weise euch zu einem neuen Adel: ihr sollt mir Zeuger und Züchter werden und Säemänner der Zukunft,

— wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr kaufen könntet gleich den Krämern und mit Krämer-Golde: denn wenig Werth hat Alles, was seinen Preis hat.

Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin eure Ehre, sondern wohin ihr geht! Euer Wille und euer Fuss, der über euch selber hinaus will, — das mache eure neue Ehre!

Wahrlich nicht, dass ihr einem Fürsten gedient habt — was liegt noch an Fürsten! — oder dem, was steht, zum Bollwerk wurdet, dass es fester stünde!

Nicht, dass euer Geschlecht an Höfen höfisch wurde, und ihr lerntet, bunt, einem Flamingo ähnlich, lange Stunden in flachen Teichen stehn.

— Denn Stehen-können ist ein Verdienst bei Höflingen; und alle Höflinge glauben, zur Seligkeit nach dem Tode gehöre — Sitzen-dürfen!

Nicht auch, dass ein Geist, den sie heilig nennen, eure Vorfahren in gelobte Länder führte, die ich nicht lobe: denn wo der schlimmste aller Bäume wuchs, das Kreuz, — an dem Lande ist Nichts zu loben!

— und wahrlich, wohin dieser» heilige Geist «auch seine Ritter führte, immer liefen bei solchen Zügen — Ziegen und Gänse und Kreuz— und Querköpfe voran!

Oh meine Brüder, nicht zurück soll euer Adel schauen, sondern hinaus! Vertriebene sollt ihr sein aus allen Vater— und Urväterländern!

Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer Adel, — das unentdeckte, im feinsten Meere! Nach ihm heisse ich eure Segel suchen und suchen!

An euren Kindern sollt ihr gutmachen, dass ihr eurer Väter Kinder seid: alles Vergangene sollt ihr so erlösen! Diese neue Tafel stelle ich über euch!

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«Wozu leben? Alles ist eitel! Leben — das ist Stroh dreschen; Leben — das ist sich verbrennen und doch nicht warm werden.»

Solch alterthümliches Geschwätz gilt immer noch als» Weisheit«; dass es aber alt ist und dumpfig riecht, darum wird es besser geehrt. Auch der Moder adelt.

Kinder durften so reden: die scheuen das Feuer, weil es sie brannte! Es ist viel Kinderei in den alten Büchern der Weisheit.

Und wer immer» Stroh drischt«, wie sollte der auf das Dreschen lästern dürfen! Solchem Narren müsste man doch das Maul verbinden!

Solche setzen sich zu Tisch und bringen Nichts mit, selbst den guten Hunger nicht: — und nun lästern sie» Alles ist eitel!»

Aber gut essen und trinken, oh meine Brüder, ist wahrlich keine eitle Kunst! Zerbrecht, zerbrecht mir die Tafeln der Nimmer-Frohen!

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«Dem Reinen ist Alles rein«— so spricht das Volk. Ich aber sage euch: den Schweinen wird Alles Schwein!

Darum predigen die Schwärmer und Kopfhänger, denen auch das Herz niederhängt:»die Welt selber ist ein kothiges Ungeheuer.»

Denn diese Alle sind unsäuberlichen Geistes; sonderlich aber Jene, welche nicht Ruhe, noch Rast haben, es sei denn, sie sehen die Welt von hinten, — die Hinterweltler!

Denen sage ich in's Gesicht, ob es gleich nicht lieblich klingt: die Welt gleicht darin dem Menschen, dass sie einen Hintern hat, — so Viel ist wahr!

Es giebt in der Welt viel Koth: so Viel ist wahr! Aber darum ist die Welt selber noch kein kothiges Ungeheuer!

Es ist Weisheit darin, dass Vieles in der Welt übel riecht: der Ekel selber schafft Flügel und quellenahnende Kräfte!

An dem Besten ist noch Etwas zum Ekeln; und der Beste ist noch Etwas, das überwunden werden muss!

Oh meine Brüder, es ist viel Weisheit darin, dass viel Koth in der Welt ist! —

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Solche Sprüche hörte ich fromme Hinterweltler zu ihrem Gewissen reden; und wahrlich, ohne Arg und Falsch, — ob es Schon nichts Falscheres in der Welt giebt, noch ärgeres.

«Lass doch die Welt der Welt sein! Hebe dawider auch nicht Einen Finger auf!»

«Lass, wer da wolle, die Leute würgen und stechen und schneiden und schaben: hebe dawider auch nicht Einen Finger auf! Darob lernen sie noch der Welt absagen.»

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