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Sie lärmen unter einander:»was will uns diese düstere Wolke? sehen wir zu, dass sie uns nicht eine Seuche bringe!»

Und jüngst riss ein Weib sein Kind an sich, das zu mir wollte:»nehmt die Kinder weg! schrie es; solche Augen versengen Kinder-Seelen.»

Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten sei ein Einwand gegen starke Winde, — sie errathen Nichts vom Brausen meines Glückes!

«Wir haben noch keine Zeit für Zarathustra«— so wenden sie ein; aber was liegt an einer Zeit, die für Zarathustra» keine Zeit hat»?

Und wenn sie gar mich rühmen: wie könnte ich wohl auf ihrem Ruhme einschlafen? Ein Stachel-Gürtel ist mir ihr Lob: es kratzt mich noch, wenn ich es von mir thue.

Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende stellt sich, als gäbe er zurück, in Wahrheit aber will er mehr beschenkt sein!

Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob— und Lock-Weise gefällt! Wahrlich, nach solchem Takt und Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn.

Zur kleinen Tugend möchten sie mich locken und loben; zum Tiktak des kleinen Glücks möchten sie meinen Fuss überreden.

Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie sind kleiner geworden und werden immer kleiner: — das aber macht ihre Lehre von Glück und Tugend.

Sie sind nämlich auch in der Tugend bescheiden — denn sie wollen Behagen. Mit Behagen aber verträgt sich nur die bescheidene Tugend.

Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und Vorwärts-Schreiten: das heisse ich ihr Humpeln —. Damit werden sie jedem zum Anstosse, der Eile hat.

Und Mancher von ihnen geht vorwärts und blickt dabei zurück, mit versteiftem Nacken: dem renne ich gern wider den Leib.

Fuss und Augen sollen nicht lügen, noch sich einander Lügen strafen. Aber es ist viel Lügnerei bei den kleinen Leuten.

Einige von ihnen wollen, aber die Meisten werden nur gewollt. Einige von ihnen sind ächt, aber die Meisten sind schlechte Schauspieler.

Es giebt Schauspieler wider Wissen unter ihnen und Schauspieler wider Willen —, die ächten sind immer selten, sonderlich die ächten Schauspieler.

Des Mannes ist hier wenig: darum vermännlichen sich ihre Weiber. Denn nur wer Mannes genug ist, wird im Weibe das Weib — erlösen.

Und diese Heuchelei fand ich unter ihnen am schlimmsten: dass auch Die, welche befehlen, die Tugenden Derer heucheln, welche dienen.

«Ich diene, du dienst, wir dienen«— so betet hier auch die Heuchelei der Herrschenden, — und wehe, wenn der erste Herr nur der erste Diener ist!

Ach, auch in ihre Heucheleien verflog sich wohl meines Auges Neugier; und gut errieth ich all ihr Fliegen-Glück und ihr Summen um besonnte Fensterscheiben.

Soviel Güte, soviel Schwäche sehe ich. Soviel Gerechtigkeit und Mitleiden, soviel Schwäche.

Rund, rechtlich und gütig sind sie mit einander, wie Sandkörnchen rund, rechtlich und gütig mit Sandkörnchen sind.

Bescheiden ein kleines Glück umarmen — das heissen sie» Ergebung«! und dabei schielen sie bescheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke aus.

Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am meisten: dass ihnen Niemand wehe thue. So kommen sie jedermann zuvor und thun ihm wohl.

Diess aber ist Feigheit: ob es schon» Tugend «heisst.

Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen Leute: ich höre darin nur ihre Heiserkeit, — jeder Windzug nämlich macht sie heiser.

Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger. Aber ihnen fehlen die Fäuste, ihre Finger wissen nicht, sich hinter Fäuste zu verkriechen.

Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm macht: damit machten sie den Wolf zum Hunde und den Menschen selber zu des Menschen bestem Hausthiere.

«Wir setzten unsern Stuhl in die Mitte — das sagt mir ihr Schmunzeln — und ebenso weit weg von sterbenden Fechtern wie von vergnügten Säuen.»

Diess aber ist — Mittelmässigkeit: ob es schon Mässigkeit heisst. —

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Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort fallen: aber sie wissen weder zu nehmen noch zu behalten.

Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lüste und Laster zu lästern; und wahrlich, ich kam auch nicht, dass ich vor Taschendieben warnte!

Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre Klugheit noch zu witzigen und zu spitzigen: als ob sie noch nicht genug der Klüglinge hätten, deren Stimme mir gleich Schieferstiften kritzelt!

Und wenn ich rufe:»Flucht allen feigen Teufeln in euch, die gerne winseln und Hände falten und anbeten möchten«: so rufen sie:»Zarathustra ist gottlos».

Und sonderlich rufen es ihre Lehrer der Ergebung —; aber gerade ihnen liebe ich's, in das Ohr zu schrein: Ja! Ich bin Zarathustra, der Gottlose!

Diese Lehrer der Ergebung! überall hin, wo es klein und krank und grindig ist, kriechen sie, gleich Läusen; und nur mein Ekel hindert mich, sie zu knacken.

Wohlan! Diess ist meine Predigt für ihre Ohren: ich bin Zarathustra, der Gottlose, der da spricht» wer ist gottloser denn ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?»

Ich bin Zarathustra, der Gottlose: wo finde ich Meines-Gleichen? Und alle Die sind Meines-Gleichen, die sich selber ihren Willen geben und alle Ergebung von sich abthun.

Ich bin Zarathustra, der Gottlose: ich koche mir noch jeden Zufall in meinem Topfe. Und erst, wenn er da gar gekocht ist, heisse ich ihn willkommen, als meine Speise.

Und wahrlich, mancher Zufall kam herrisch zu mir: aber herrischer noch sprach zu ihm mein Wille, — da lag er schon bittend auf den Knieen

— bittend, dass er Herberge finde und Herz bei mir, und schmeichlerisch zuredend:»sieh doch; oh Zarathustra, wie nur Freund zu Freunde kommt!»

Doch was rede ich, wo Niemand meine Ohren hat! Und so will ich es hinaus in alle Winde rufen:

Ihr werdet immer kleiner, ihr kleinen Leute! Ihr bröckelt ab, ihr Behaglichen! Ihr geht mir noch zu Grunde

— an euren vielen kleinen Tugenden, an eurem vielen kleinen Unterlassen, an eurer vielen kleinen Ergebung!

Zu viel schonend, zu viel nachgebend: so ist euer Erdreich! Aber dass ein Baum gross werde, dazu will er um harte Felsen harte Wurzeln schlagen!

Auch was ihr unterlasse, webt am Gewebe aller Menschen-Zukunft; auch euer Nichts ist ein Spinnennetz und eine Spinne, die von der Zukunft Blute lebt.

Und wenn ihr nehmt, so ist es wie stehlen, ihr kleinen Tugendhaften; aber noch unter Schelmen spricht die Ehre:»man soll nur stehlen, wo man nicht rauben kann.»

«Es giebt sich«— das ist auch eine Lehre der Ergebung. Aber ich sage euch, ihr Behaglichen: es nimmt sich und wird immer mehr noch von euch nehmen!

Ach, dass ihr alles halbe Wollen von euch abthätet und entschlossen würdet zur Trägheit wie zur That!

Ach, dass ihr mein Wort verstündet:»thut immerhin, was ihr wollt, — aber seid erst Solche, die wollen können!»

«Liebt immerhin euren Nächsten gleich euch, — aber seid mir erst solche, die sich selber lieben

— mit der grossen Liebe lieben, mit der grossen Verachtung lieben!«Also spricht Zarathustra, der Gottlose.

Doch was rede ich, wo Niemand meine Ohren hat! Es ist hier noch eine Stunde zu früh für mich.

Mein eigner Vorläufer bin ich unter diesem Volke, mein eigner Hahnen-Ruf durch dunkle Gassen.

Aber ihre Stunde kommt! Und es kommt auch die meine! Stündlich werden sie kleiner, ärmer, unfruchtbarer, — armes Kraut! armes Erdreich!

Und bald sollen sie mir dastehn wie dürres Gras und Steppe, und wahrlich! ihrer selber müde — und mehr, als nach Wasser, nach Feuer lechzend!

Oh gesegnete Stunde des Blitzes! Oh Geheimniss vor Mittag! — Laufende Feuer will ich einst noch aus ihnen machen und Verkünder mit Flammen-Zungen:

— verkünden sollen sie einst noch mit Flammen-Zungen: Er kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!

Also sprach Zarathustra.

Auf dem Oelberge

Der Winter, ein schlimmer Gast, sitzt bei mir zu Hause; blau sind meine Hände von seiner Freundschaft Händedruck.

Ich ehre ihn, diesen schlimmen Gast, aber lasse gerne ihn allein sitzen. Gerne laufe ich ihm davon; und, läuft man gut, so entläuft man ihm!

Mit warmen Füssen und warmen Gedanken laufe ich dorthin, wo der Wind stille steht, — zum Sonnen-Winkel meines Oelbergs.

Da lache ich meines gestrengen Gastes und bin ihm noch gut, dass er zu Hause mir die Fliegen wegfängt und vielen kleinen Lärm stille macht.

Er leidet es nämlich nicht, wenn eine Mücke singen will, oder gar zwei; noch die Gasse macht er einsam, dass der Mondschein drin Nachts sich fürchtet.

Ein harter Gast ist er, — aber ich ehre ihn, und nicht bete ich, gleich den Zärtlingen, zum dickbäuchichten Feuer-Götzen.

Lieber noch ein Wenig zähneklappern als Götzen anbeten! — so will's meine Art. Und sonderlich bin ich allen brünstigen dampfenden dumpfigen Feuer-Götzen gram.

Wen ich liebe, den liebe ich Winters besser als Sommers; besser spotte ich jetzt meiner Feinde und herzhafter, seit der Winter mir im Hause sitzt.

Herzhaft wahrlich, selbst dann noch, wenn ich zu Bett krieche —: da lacht und muthwillt noch mein verkrochenes Glück; es lacht noch mein Lügen-Traum.

Ich — ein Kriecher? Niemals kroch ich im Leben vor Mächtigen; und log ich je, so log ich aus Liebe. Desshalb bin ich froh auch im Winter-Bette.

Ein geringes Bett wärmt mich mehr als ein reiches, denn ich bin eifersüchtig auf meine Armuth. Und im Winter ist sie mir am treuesten.

Mit einer Bosheit beginne ich jeden Tag, ich spotte des Winters mit einem kalten Bade: darob brummt mein gestrenger Hausfreund.

Auch kitzle ich ihn gerne mit einem Wachskerzlein: dass er mir endlich den Himmel herauslasse aus aschgrauer Dämmerung.

Sonderlich boshaft bin ich nämlich des Morgens: zur frühen Stunde, da der Eimer am Brunnen klirrt und die Rosse warm durch graue Gassen wiehern:

Ungeduldig warte ich da, dass mir endlich der lichte Himmel aufgehe, der schneebärtige Winter-Himmel, der Greis und Weisskopf,

— der Winter-Himmel, der schweigsame, der oft noch seine Sonne verschweigt!

Lernte ich wohl von ihm das lange lichte Schweigen? Oder lernte er's von mir? Oder hat ein jeder von uns es selbst erfunden?

Aller guten Dinge Ursprung ist tausendfältig, — alle guten muthwilligen Dinge springen vor Lust in's Dasein: wie sollten sie das immer nur — Ein Mal thun!

Ein gutes muthwilliges Ding ist auch das lange Schweigen und gleich dem Winter-Himmel blicken aus lichtem rundäugichten Antlitze:

— gleich ihm seine Sonne verschweigen und seinen unbeugsamen Sonnen-Willen: wahrlich, diese Kunst und diesen Winter-Muthwillen lernte ich gut!

Meine liebste Bosheit und Kunst ist es, dass mein Schweigen lernte, sich nicht durch Schweigen zu verrathen.

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