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Diess, ja diess allein ist Rache selber: des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr» Es war.»

Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm Willen; und zum Fluche wurde es allem Menschlichen, dass diese Narrheit Geist lernte!

Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes Nachdenken; und wo Leid war, da sollte immer Strafe sein.

«Strafe «nämlich, so heisst sich die Rache selber: mit einem Lügenwort heuchelt sie sich ein gutes Gewissen.

Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob dass es nicht zurück wollen kann, — also sollte Wollen selber und alles Leben — Strafe sein!

Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den Geist: bis endlich der Wahnsinn predigte:»Alles vergeht, darum ist Alles werth zu vergehn!»

«Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie ihre Kinder fressen muss«: also predigte der Wahnsinn.

«Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht und Strafe. Oh wo ist die Erlösung vom Fluss der Dinge und der Strafe Dasein«? Also predigte der Wahnsinn.

«Kann es Erlösung geben, wenn es ein ewiges Recht giebt? Ach, unwälzbar ist der Stein» Es war«: ewig müssen auch alle Strafen sein!«Also predigte der Wahnsinn.

«Keine That kann vernichtet werden: wie könnte sie durch die Strafe ungethan werden! Diess, diess ist das Ewige an der Strafe» Dasein«, dass das Dasein auch ewig wieder That und Schuld sein muss!

«Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber erlöste und Wollen zu Nicht-Wollen würde — «: doch ihr kennt, meine Brüder, diess Fabellied des Wahnsinns!

Weg führte ich euch von diesen Fabelliedern, als ich euch lehrte:»der Wille ist ein Schaffender.»

Alles» Es war «ist ein Bruchstück, ein Räthsel, ein grauser Zufall — bis der schaffende Wille dazu sagt: aber so wollte ich es!»

Bis der schaffende Wille dazu sagt:»Aber so will ich es! So werde ich's wollen!»

Aber sprach er schon so? Und wann geschieht diess? Ist der Wille schon abgeschirrt von seiner eignen Thorheit?

Wurde der Wille sich selber schon Erlöser und Freudebringer? Verlernte er den Geist der Rache und alles Zähneknirschen?

Und wer lehrte ihn Versöhnung mit der Zeit, und Höheres als alle Versöhnung ist?

Höheres als alle Versöhnung muss der Wille wollen, welcher der Wille zur Macht ist —: doch wie geschieht ihm das? Wer lehrte ihn auch noch das Zurückwollen?»

— Aber an dieser Stelle seiner Rede geschah es, dass Zarathustra plötzlich innehielt und ganz einem Solchen gleich sah, der auf das äusserste erschrickt. Mit erschrecktem Auge blickte er auf seine Jünger; sein Auge durchbohrte wie mit Pfeilen ihre Gedanken und Hintergedanken. Aber nach einer kleinen Weile lachte er schon wieder und sagte begütigt:

«Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. Sonderlich für einen Geschwätzigen.»

Also sprach Zarathustra. Der Bucklichte aber hatte dem Gespräche zugehört und sein Gesicht dabei bedeckt; als er aber Zarathustra lachen hörte, blickte er neugierig auf und sagte langsam:

«Aber warum redet Zarathustra anders zu uns als zu seinen Jüngern?»

Zarathustra antwortete:»Was ist da zum Verwundern! Mit Bucklichten darf man schon bucklicht reden!»

«Gut, sagte der Bucklichte; und mit Schülern darf man schon aus der Schule schwätzen.

Aber warum redet Zarathustra anders zu seinen Schülern — als zu sich selber?»

Von der Menschen-Klugheit

Nicht die Höhe: der Abhang ist das Furchtbare!

Der Abhang, wo der Blick hinunter stürzt und die Hand hinauf greift. Da schwindelt dem Herzen vor seinem doppelten Willen.

Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines Herzens doppelten Willen?

Das, Das ist mein Abhang und meine Gefahr, dass mein Blick in die Höhe stürzt, und dass meine Hand sich halten und stützen möchte — an der Tiefe!

An den Menschen klammert sich mein Wille, mit Ketten binde ich mich an den Menschen, weil es mich hinauf reisst zum Obermenschen: denn dahin will mein andrer Wille.

Und dazu lebe ich blind unter den Menschen; gleich als ob ich sie nicht kennte: dass meine Hand ihren Glauben an Festes nicht ganz verliere.

Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss und Tröstung ist oft um mich gebreitet.

Ich sitze am Thorwege für jeden Schelm und frage: wer will mich betrügen?

Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich mich betrügen lasse, um nicht auf der Hut zu sein vor Betrügern.

Ach, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Menschen: wie könnte meinem Balle der Mensch ein Anker sein! Zu leicht risse es mich hinauf und hinweg!

Diese Vorsehung ist über meinem Schicksal, dass ich ohne Vorsicht sein muss.

Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen Gläsern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, muss verstehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen.

Und also sprach ich oft mir zum Troste:»Wohlan! Wohlauf! Altes Herz! Ein Unglück missrieth dir: geniesse diess als dein — Glück!»

Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit: ich schone die Eitlen mehr als die Stolzen.

Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauerspiele? Wo aber Stolz verletzt wird, da wächst wohl etwas Besseres noch, als Stolz ist.

Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein Spiel gut gespielt werden: dazu aber bedarf es guter Schauspieler.

Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen und wollen, dass ihnen gern zugeschaut werde, — all ihr Geist ist bei diesem Willen.

Sie führen sich auf, sie erfinden sich; in ihrer Nähe liebe ich's, dem Leben zuzuschaun, — es heilt von der Schwermuth.

Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Arzte sind meiner Schwermuth und mich am Menschen fest halten als an einem Schauspiele.

Und dann: wer ermisst am Eitlen die ganze Tiefe seiner Bescheidenheit! Ich bin ihm gut und mitleidig ob seiner Bescheidenheit.

Von euch will er seinen Glauben an sich lernen; er nährt sich an euren Blicken, er frisst das Lob aus euren Händen.

Euren Lügen glaubt er noch, wenn ihr gut über ihn lügt: denn im Tiefsten seufzt sein Herz: was bin ich!»

Und wenn das die rechte Tugend ist, die nicht um sich selber weiss: nun, der Eitle weiss nicht um seine Bescheidenheit!

Das ist aber meine dritte Menschen-Klugheit, dass ich mir den Anblick der Bösen nicht verleiden lasse durch eure Furchtsamkeit.

Ich bin selig, die Wunder zu sehn, welche heisse Sonne ausbrütet: Tiger und Palmen und Klapperschlangen.

Auch unter Menschen giebt es schöne Brut heisser Sonne und viel Wunderwürdiges an den Bösen.

Zwar, wie eure Weisesten mir nicht gar so weise erschienen: so fand ich auch der Menschen Bosheit unter ihrem Rufe.

Und oft fragte ich mit Kopfschütteln: Warum noch klappern, ihr Klapperschlangen?

Wahrlich, es giebt auch für das Böse noch eine Zukunft! Und der heisseste Süden ist noch nicht entdeckt für den Menschen.

Wie Manches heisst jetzt schon ärgste Bosheit, was doch nur zwölf Schuhe breit und drei Monate lang ist! Einst aber werden grössere Drachen zur Welt kommen.

Denn dass dem übermenschen sein Drache nicht fehle, der über-Drache, der seiner würdig ist: dazu muss viel heisse Sonne noch auf feuchten Urwald glühen!

Aus euren Wildkatzen müssen erst Tiger geworden sein und aus euren Giftkröten Krokodile: denn der gute Jäger soll eine gute Jagd haben!

Und wahrlich, ihr Guten und Gerechten! An euch ist Viel zum Lachen und zumal eure Furcht vor dem, was bisher» Teufel «hiess!

So fremd seid ihr dem Grossen mit eurer Seele, dass euch der übermensch furchtbar sein würde in seiner Güte!

Und ihr Weisen und Wissenden, ihr würdet vor dem Sonnenbrande der Weisheit flüchten, in dem der übermensch mit Lust seine Nacktheit badet!

Ihr höchsten Menschen, denen mein Auge begegnete! das ist mein Zweifel an euch und mein heimliches Lachen: ich rathe, ihr würdet meinen übermenschen — Teufel heissen!

Ach, ich ward dieser Höchsten und Besten müde: aus ihrer» Höhe «verlangte mich hinauf, hinaus, hinweg zu dem übermenschen!

Ein Grausen überfiel mich, als ich diese Besten nackend sah: da wuchsen mir die Flügel, fortzuschweben in ferne Zukünfte.

In fernere Zukünfte, in südlichere Süden, als je ein Bildner träumte: dorthin, wo Götter sich aller Kleider schämen!

Aber verkleidet will ich euch sehn, ihr Nächsten und Mitmenschen, und gut geputzt, und eitel, und würdig, als» die Guten und Gerechten,»

Und verkleidet will ich selber unter euch sitzen, — dass ich euch und mich verkenne: das ist nämlich meine letzte Menschen-Klugheit.

Also sprach Zarathustra.

Die stillste Stunde

Was geschah mir, meine Freunde? Ihr seht mich verstört, fortgetrieben, unwillig-folgsam, bereit zu gehen — ach, von euch fortzugehen!

Ja, noch Ein Mal muss Zarathustra in seine Einsamkeit: aber unlustig geht diessmal der Bär zurück in seine Höhle!

Was geschah mir? Wer gebeut diess? — Ach, meine zornige Herrin will es so, sie sprach zu mir: nannte ich je euch schon ihren Namen?

Gestern gen Abend sprach zu mir meine stillste Stunde: das ist der Name meiner furchtbaren Herrin.

Und so geschah's, — denn Alles muss ich euch sagen, dass euer Herz sich nicht verhärte gegen den plötzlich Scheidenden!

Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden?

Bis in die Zehen hinein erschrickt er, darob, dass ihm der Boden weicht und der Traum beginnt.

Dieses sage ich euch zum Gleichniss. Gestern, zur stillsten Stunde, wich mir der Boden: der Traum begann.

Der Zeiger rückte, die Uhr meines Lebens holte Athem — nie hörte ich solche Stille um mich: also dass mein Herz erschrak.

Dann sprach es ohne Stimme zu mir:»Du weisst es, Zarathustra?»

Und ich schrie vor Schrecken bei diesem Flüstern, und das Blut wich aus meinem Gesichte: aber ich schwieg.

Da sprach es abermals ohne Stimme zu mir:»Du weisst es, Zarathustra, aber du redest es nicht!»

Und ich antwortete endlich gleich einem Trotzigen:»Ja, ich weiss es, aber ich will es nicht reden!»

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir:»Du willst nicht, Zarathustra? Ist diess auch wahr? Verstecke dich nicht in deinen Trotz!»

Und ich weinte und zitterte wie ein Kind und sprach:»Ach, ich wollte schon, aber wie kann ich es! Erlass mir diess nur! Es ist über meine Kraft!»

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir:»Was liegt an dir, Zarathustra! Sprich dein Wort und zerbrich!»

Und ich antwortete:»Ach, ist es mein Wort? Wer bin ich? Ich warte des Würdigeren; ich bin nicht werth, an ihm auch nur zu zerbrechen.»

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir:»Was liegt an dir? Du bist mir noch nicht demüthig genug. Die Demuth hat das härteste Fell.»

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