Литмир - Электронная Библиотека
A
A

»So, jetzt bin ich reich«, rief er ьbermьtig. »Was mцchte die Dame haben? Cola oder Limo?«

Sie gingen nebeneinander her zum anderen Ende des Parks, zum Gartencafe. Es war das erste Mal, dass sie mit einem Jungen ging, auЯer mit ihrem Bruder natьr­lich. Sie schaute ihn von der Seite an.

»Eva ist doch ein schцner Name«, sagte Michel plцtzlich. »Nur ein bisschen altmodisch klingt er. Aber das gefдllt mir.«

Sie fanden noch zwei freie Plдtze an einem Tisch un­ter einer groЯen Platane. Hier war es voll. Die Leute lachten und redeten und tranken Bier. Die Cola war eiskalt.

»Mir war es ziemlich langweilig vorhin, bevor ich dich getroffen habe.«

»Mir auch.«

»Wie alt bist du?«, fragte Michel.

»Fьnfzehn. Und du?«

»Ich auch.«

»In welche Klasse gehst du?«, fragte Eva.

»In die Neunte. Fьr mich ist es bald aus mit der Ler­nerei.«

»Ich gehe auch in die Neunte. Ins Gymnasium.«

»Ach so.«

Sie schwiegen beide und nuckelten an ihrer Cola. Wenn ich nichts sage, hдlt er mich fьr doof und lang­weilig, dachte Eva. Aber er sagt ja auch nichts.

»Was machst du, wenn du mit der Schule fertig bist?«

»Ich? Ich werde Matrose. Natьrlich nicht gleich, aber in ein paar Jahren bin ich Matrose, darauf kannst du dich verlassen. Fьr mich gibt's diese ewige Stellen­sucherei nicht. Ich habe einen Onkel in Hamburg, der sucht ein Schiff fьr mich, als Schiffsjunge erst mal. Mein Onkel kennt genьgend Leute, der bringt mich bestimmt unter. Sobald ich mein Zeugnis in den Hдn­den habe, geht es los.«

Eva gab es einen Stich. Er wьrde bald nicht mehr da sein. Blцde Gans, dachte sie und zwang sich zu einem Lдcheln. »Ich muss noch ein paar Jahre in die Schule gehen.«

»Fьr mich wдre das nichts, immer diese Hockerei.«

»Mir macht es SpaЯ.«

Michel rьlpste laut. Die Bedienung kam vorbei. Mi­chel winkte ihr und bezahlte. Eine Mark bekam er he­raus. Er nahm sie und steckte sie ein. Eigentlich gehцrt sie mir, die Mark, dachte Eva.

Michel fragte: »Tut dein Knie noch weh?«

Eva schьttelte den Kopf. »Nein, aber ich will jetzt heim.«

Sie gingen mit ruhigen, gleichmдЯigen Schritten ne­beneinander her. Obwohl sie sich nicht berьhrten, ach­teten sie darauf, dass ihre Schritte gleich lang waren.

»Gehen wir morgen zusammen ins Schwimmbad?«, fragte Michel.

Eva nickte. »Wann treffen wir uns?«

»Um drei am Brunnen. Ist dir das recht?«

Vor Evas Haus angekommen, gaben sie sich die Hдnde.

»Tschьss, Eva.«

»Auf Wiedersehen, Michel.«

Die Mutter und Berthold waren noch nicht da. Eva schaute auf die Uhr. Viertel nach Fьnf. In einer halben Stunde wьrde ihr Vater nach Hause kommen. Eva ging ins Badezimmer und drehte den Wasserhahn an. Sie lieЯ das kalte Wasser ьber ihre Hдnde und Arme lau­fen und schaute in den kleinen Spiegel ьber dem Waschbecken. Sie hatte rцtliche Backen bekommen von der Sonne. Das sah eigentlich ganz schцn aus. Ihr Gesicht war ьberhaupt nicht so ьbel, und ihre Haare waren ausgesprochen schцn, dunkelblond und lockig,

und am Haaransatz an der Stirn krдuselten sie sich und waren ganz hell. Sie griff mit beiden Hдnden nach dem Pferdeschwanz und цffnete die Spange.

Jetzt sehe ich fast aus wie eine Madonna. So werde ich die Haare tragen, wenn ich erst einmal schlank bin, dachte sie.

Entschlossen band sie sich wieder den Pferde­schwanz und befestigte ihn mit der Spange. Dann machte sie sich an ihre Hausaufgaben. Aber es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Sie hцrte, wie die Wohnungstьr aufgeschlossen wur­de. Ihr Vater kam nach Hause. Sie schaute sich schnell in ihrem Zimmer um und zog die Bettdecke glatt. Ihr Vater mochte das, wenn alles schцn ordentlich aussah. Manchmal war er richtig pedantisch. AuЯerdem wusste sie nie, wie seine Laune war, wenn er nach Hause kam. Er konnte lange ьber einen Pullover auf dem FuЯbo­den reden oder ьber eine Schultasche in der Flurecke, wenn er schlecht gelaunt war. Ihre Mutter lief meistens um fьnf noch mal durch die ganze Wohnung und schaute nach, ob nichts herumlag. »Muss ja nicht sein, dass es Krach gibt«, sagte sie. »Wenn man es vermei­den kann!«

Gerade als Eva ьberlegte, warum er ihr manchmal so auf die Nerven ging, warum gewisse Eigenheiten von ihm sie so stцrten, dass sie ihn manchmal nicht aushal-ten konnte, gerade in diesem Moment цffnete er ihre Zimmertьr.

»Guten Abend, Eva. Das ist aber schцn, dass du so fleiЯig bist.«

Der Vater war hinter sie getreten und tдtschelte ih­ren Kopf. Eva hatte sich tief ьber ihr Englischbuch ge­beugt und war froh, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht in diese Hand zu beiЯen.

4

Eva drьckte auf den Knopf der Nachttischlampe. Nun war es fast ganz dunkel. Nur ein schwaches Licht drang durch das geцffnete Fenster. Der Vorhang be­wegte sich und dankbar spьrte sie den leichten Luft­zug. Endlich war es ein bisschen kьhler geworden. Sie zog das Leintuch ьber sich, das ihr in heiЯen Nдchten als Zudecke diente, und kuschelte sich zurecht. Sie war zufrieden mit sich selbst, war richtig stolz auf sich, weil sie es geschafft hatte, das Gerede der Eltern beim Abendessen zu ьberhцren und wirklich nur diesen ei­nen Joghurt zu essen. Wenn sie das zwei oder drei Wo­chen durchhielte, wьrde sie sicher zehn Pfund abneh­men. Ich bin stark genug dazu, dachte sie. Bestimmt bin ich stark genug dazu. Das hab ich ja heute Abend bewiesen.

Glьcklich rollte sie sich auf die Seite und schob ihr Lieblingskissen unter den Kopf. Eigentlich brauche ich ьberhaupt nicht mehr so viel zu essen. Heute die Scho­kolade war absolut unnцtig. Und wenn ich dann erst einmal schlank bin, kann ich ruhig abends wieder et­was essen. Vielleicht Toast mit Butter und dazu ein paar Scheiben Lachs.

Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, als sie an

diese rцtlich gemaserten, in Цl schwimmenden Schei­ben dachte. Sie liebte den pikanten, etwas scharfen Geschmack von Lachs sehr. Und dazu warmer Toast, auf dem die Butter schmolz! Eigentlich mochte sie scharfe Sachen sowieso lieber als dieses sьЯe Zeug. Man wurde auch nicht so dick davon. Gerдucherter Speck mit Zwiebeln und Sahnemeerrettich schmeckte ebenfalls ausgezeichnet. Oder eine gut gewьrzte Boh­nensuppe!

Nur ein einziges, kleines Stьck Lachs kцnnte nicht schaden, wenn sie morgen frьh sowieso anfing, richtig zu fasten. Aber nein, sie war stark! Sie dachte daran, wie oft sie sich schon vorgenommen hatte, nichts zu essen oder sich wenigstens zurьckzuhalten, und immer wieder war sie schwach geworden. Aber diesmal nicht! Diesmal war es ganz anders. Mit der grцЯten Ruhe wьrde sie zusehen, wie ihr Bruder das Essen in sich hineinstopfte, wie ihre Mutter die Suppe lцffelte und sie gleichzeitig laut lobte. Es wьrde ihr nichts ausma­chen, wenn ihr Vater in seiner pedantischen Art dicke Scheiben Schinken gleichmдЯig auf das Brot verteilte und es dann noch sorgfдltig mit kleinen, in der Mitte durchgeschnittenen Cornichons verzierte. Das alles wьrde ihr diesmal nichts ausmachen. Diesmal wьrde sie nicht mehr auf dem Heimweg nach der Schule vor dem Delikatessengeschдft stehen und sich die Nase an der Scheibe platt drьcken. Sie wьrde nicht mehr hi­neingehen und fьr vier Mark Heringssalat kaufen, um ihn dann hastig und verstohlen im Park mit den Fin­gern in den Mund zu stopfen. Diesmal nicht!

Und nach ein paar Wochen wьrden die anderen in der Schule sagen: Was fьr ein hьbsches Mдdchen die Eva ist, das ist uns frьher gar nicht so aufgefallen. Und Jungen wьrden sie vielleicht ansprechen, so wie andere Mдdchen, und sie einladen, mal mit ihnen in eine Dis­kothek zu gehen. Und Michel wьrde sich richtig in sie verlieben, weil sie so gut aussah. Bei diesem Gedanken wurde ihr warm. Sie hatte das Gefьhl zu schweben, leicht und schwerelos in ihrem Zimmer herumzuglei-ten. Frei und glьcklich war sie.

Eine kleine Scheibe Lachs wдre jetzt schцn. Eine ganz kleine Scheibe nur, lange hochgehalten, damit das Цl richtig abgetropft war. Das kцnnte doch nicht scha­den, wenn sowieso jetzt alles gut wьrde, wenn sie so­wieso bald ganz schlank wдre.

4
{"b":"236147","o":1}