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Im Allgemeinen ist es ein positiver Brief, wenn auch der Wunsch nach Geldnachschub überdeutlich ist. Seit meiner Rückkehr überweise ich regelmäßig Geld und werde es sicher auch in Zukunft tun. Ich muss nur aufpassen, dass dadurch im Dorf nicht Neid und Unruhe entstehen.

Ende November ist das Buch in der Schweiz auf allen Bestsellerlisten auf Platz eins vorgerückt und ich werde wieder in eine Talk-Show eingeladen. Der Talkmaster ist recht umstritten, entweder man mag ihn oder lehnt ihn komplett ab. Auf jeden Fall gehe ich hin, da es einer kleinen Herausforderung gleichkommt. Das Gespräch verläuft sehr interessant und witzig. Am Ende der Sendung kann das Publikum anrufen. Es melden sich verschiedene Frauen und gratulieren mir zu dem spannenden Buch. Dann meldet sich ein Herr, dessen Namen ich nicht verstehe, dafür erkenne ich ihn schon beim ersten Satz an der Stimme. Es ist Markus, mein ehemaliger Schulkollege, der mir nach dem Klassentreffen noch so lange im Kopf herumschwirrte. Auch er gratuliert mir zuerst zu meinem Werk, doch dann fragt er ziemlich vorwurfsvoll, wie ich dazu stehe, dass mein Mann sein Kind wahrscheinlich lange nicht mehr sehen kann. Das sei für einen Vater hart und er findet, ich rede etwas zu locker darüber. Komisch, dass ausgerechnet Markus anruft und noch dazu derart angriffslustig ist. So ernst hatte ich ihn nicht in Erinnerung. Ruhig erkläre ich ihm die Situation aus meiner Sicht und kurz darauf ist die Sendezeit beendet.

Inzwischen entwickelt sich die Buchgeschichte atemberaubend. Wenn ich im Auto unterwegs bin, um meine Kundenbesuche zu tätigen, geschieht es immer öfter, dass ich plötzlich mein eigenes Interview im Radio höre. Oder ich vernehme aus dem Veranstaltungskalender meinen Namen, wenn es heißt: »Heute Abend um 20 Uhr liest Corinne Hofmann aus ihrem Bestseller in Rüti, Bern, Basel...« Immer noch kann ich es kaum glauben und es kommt mir so vor, als bewege ich mich in zwei verschiedenen Welten. Die ersten Briefe von Leserinnen und Lesern treffen ein. Meistens drücken sie Bewunderung aus und enthalten viele Fragen. Es gibt auch männliche »Fans«, die aus den Interviews entnehmen konnten, dass ich Single bin. Sie schicken mir Fotos von sich, und manchmal ist auch gleich das Eigenheim und das schnittige Auto mit abgebildet. Seltsamerweise sehen all diese allein stehenden Herren, vom Handwerker bis zum Direktor, auf einmal genau die richtige zukünftige Frau in mir. Ich hingegen hege nicht die geringste Lust auf eine Beziehung, denn dafür habe ich im Moment wirklich keine Zeit. Im Dezember erscheint in einem Schweizer Journal, das mir beim Friseur zufällig in die Hand kommt, der Artikel »Unsere Frauen 1998«. Es geht um bekannte Frauen, die im zu Ende gehenden Jahr die Leser gerührt, begeistert oder erschüttert haben. Zu meinem Erstaunen entdecke ich zwischen den Bildern von Cher, Prinzessin Stephanie und Hillary Clinton mein Foto. Es berührt mich seltsam und ich habe das Gefühl, dass mich das gar nichts angeht und ich da nicht hingehöre. Abends schalte ich den Fernseher ein und sehe, wie Buchhändler über den guten Verkauf der »Weißen Massai« schwärmen. Es ist unglaublich. Dies alles erscheint mir im höchsten Maße unwirklich und mir ist, als sprächen alle von einer anderen Person.

Im Dezember habe ich eine kleine Lesung in München auf dem Tollwood-Festival, einem riesigen alternativen Weihnachtsmarkt. Als ich das kleine Lesezelt betrete, kommt mir eine mit Cowboyhut, Stiefeln und dicker Winterjacke gewandete Frau mit ausgebreiteten Armen entgegen. Irgendwie kommen mir das breite Grinsen und die langen blonden Haare unter dem Hut bekannt vor. Als sie nun so vor mir steht, glaube ich zu träumen. Es ist Rambo-Jutta! Die Frau, mit der ich auf der Suche nach Lketinga quer durch Kenia gereist bin. Wir fallen uns in die Arme und ich kann es kaum fassen, dass ich die leibhaftige Jutta vor mir sehe. Durch Zufall habe sie von meiner Lesung gehört und sei spontan hierher gekommen. »Ja, bist du denn nicht mehr in Kenia?«, möchte ich wissen. Sie erzählt, dass ihre Mutter gestorben ist und sie deshalb für ein paar Tage nach Deutschland kommen musste, um alles zu regeln. »Weißt du, ich kann hier nicht mehr leben. Ich fliege schon bald nach Kenia zurück, weil ich dort ein neues Krankenhausprojekt betreue und nicht allzu lange wegbleiben möchte.« Wir tauschen unsere Adressen aus und ich verspreche, die Unterlagen für ihr Projekt zu prüfen, um eventuell etwas zu spenden. Sie bleibt noch bis zum Ende der Lesung und ist ganz begeistert von dem Buch. »Dass du alles noch so genau wusstest, ist unglaublich, aber genau so war es«, ist ihr abschließender Kommentar. Beim Abschied geben wir uns das Versprechen, miteinander in Kontakt zu bleiben. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass sie meinem Verleger und mir bald eine große Hilfe sein wird.

Bei unserer diesjährigen Familien-Weihnachtsfeier ist das zentrale Thema natürlich mein Buch. Wir alle sind neugierig, wohin mich dieses Abenteuer noch führen wird. Im Verlag werden schon die ersten Verhandlungen für Übersetzungen ins Französische und Italienische geführt. Die paar Tage in der Weihnachtszeit genieße ich jedoch ausschließlich mit meiner Tochter.

Anfang 1999 wird es noch hektischer. Das Buch steht nun auch in Deutschland ganz oben auf der Bestsellerliste und im Verlag laufen die Drähte heiß. Da viele Buchhandlungen eine Lesung mit mir veranstalten wollen, schlagen die Verlagsmitarbeiter eine Lesetour durch Deutschland vor. Jetzt stehe ich vor einer schweren Entscheidung. Einerseits gefällt mir mein Job sehr gut und bietet eine sichere Existenz. Andererseits betrachte ich es als wunderbare Chance, mein eigenes Produkt zu »vertreiben«. Wer hat schon das Glück, selbstständig und in eigener Sache unterwegs sein zu können und zudem mit offenen Armen von Zuhörern und Zuhörerinnen empfangen zu werden? Ich muss es einfach wagen! Ich überlege nicht mehr lange, bevor ich mit meinem Chef spreche und um meine Freistellung bitte. Die dreimonatige Kündigungszeit kann ich unter diesen Umständen leider auch nicht einhalten. Doch ich biete an, für »meine« Zahnärzte eine Lesung mit afrikanischem Essen und afrikanischer Musik zu organisieren. Es ist mir ein Anliegen, den mir wohlgesinnten Praxen mit einem einmaligen Abschiedsabend für ihre Treue zu danken. Nach der wunderschönen Veranstaltung fällt mir das Aufhören dann doch etwas schwer. Anfang Februar löse ich mein Arbeitsverhältnis auf und bin nun nur noch Autorin.

Unser Leben ist ziemlich unruhig geworden und alles muss gut organisiert werden. Napirai kann Gott sei Dank entweder bei meiner Mutter oder bei der Pflegefamilie auch mehrere Tage übernachten, was sie zumindest in den ersten paar Monaten durchaus genießt. In Wochenblöcken bin ich auf Lesereisen durch Deutschland unterwegs. Die Hauptstrecke lege ich im Flugzeug zurück, nehme dann ein Taxi zum reservierten Hotel und habe bereits nach der Ankunft die ersten örtlichen Pressetermine. Die Lesungen beginnen abends zwischen sieben und acht Uhr. Zuvor esse ich nur eine Kleinigkeit, da ich mich ansonsten bei der Lesung unwohl oder müde fühle. Danach laufe oder fahre ich zum jeweiligen Veranstaltungsort, vor dem meist schon viele Menschen warten, um an meiner Geschichte Anteil zu nehmen. Nach den zwei- bis dreistündigen Veranstaltungen bin ich zu aufgekratzt, um schlafen zu gehen. So mache ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Restaurant, um noch etwas zu essen und den Abend ausklingen zu lassen. Bei diesen Gelegenheiten finde ich hin und wieder die Muße, über die seltsamen Fügungen des Lebens nachzudenken. Wenn mir damals in Kenia jemand vorausgesagt hätte, dass ich eines Tages mit dem, was ich dort erlebt habe, Abend für Abend in Europa Hunderte von Menschen beeindrucken würde, hätte ich ihn mit verständnislosen Augen angeschaut und lachend für verrückt erklärt. In diesen Momenten, wenn ich spät abends in einem fast leeren Restaurant in einer mir fremden Stadt meinen Gedanken nachhänge, empfinde ich oft tiefe Dankbarkeit Lketinga, seiner Familie und den Samburu gegenüber.

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