Der Geist wand sich. Rod hatte ins Schwarze getroffen. Offenbar gab es eine ektoplasmische Verbindung zwischen einem Geist und seinen sterblichen Überresten. Rod nahm sich vor, die Grüfte oder Gräber aller hier Spukenden aufzusuchen. „Ver-verzeiht, My-mylord“, stammelte der Geist. „Ich wollte Rod unterbrach ihn. „Nun, da du mich aus dem Schlaf gerissen hast, könntest du mir endlich sagen, was du willst!“
„Ihr müßt sofort…“
Wieder unterbrach ihn Rod. „Ich muß überhaupt nichts!“
„Verzeiht, Eure Lordschaft.“ Der Geist verbeugte sich.
„Mylord Loguire ersucht Euch, in die Gewölbe zu kommen.“
„Horatio Loguire?“
„So ist es, Mylord.“
Die Magd ächzte. Rod zuckte zusammen. Er hatte vergessen, daß er nicht allein mit dem Geist war. Bald würde die ganze Burg von seiner Verbindung mit den Geistern wissen. Er wandte sich an den Geist. „Also gut, dann führe mich.“ Er griff nach seiner Harfe. Als der Geist sich zur Wand drehte und eine Hand ausstreckte, rief er: „Halt!“ Außer ihm brauchte niemand zu wissen, wo sich die Geheimgänge befanden. „Schweb zu
Mylord Loguire zurück und sag ihm, ich bin in Kürze bei ihm. Du scheinst zu vergessen, daß ich nicht durch die Wände gehen kann, wie du.“
„Aber, mein Lord“, protestierte der Geist. „Ihr…“ „Hast du nicht gehört!“ polterte Rod. Der Geist wich erschrocken zurück und verschwand.
In der jetzt wieder fast absoluten Dunkelheit stieß das Mädchen einen tiefen Seufzer aus, und Tom sagte mit ruhiger Stimme: „Verkehrt Ihr jetzt auch in Geisterkreisen, Meister?“ „Allerdings“, brummte Rod und schwang die Tür auf. „Wenn auch nur ein Wort über diesen Besuch aus der Kammer getragen wird, könnt ihr beide mit recht unruhigen Nächten rechnen.“
Wieder stöhnte das Mädchen. Gut, dachte Rod. Das wird ihr vielleicht den Mund verschließen.
Der Geist in der Panzerrüstung wartete in der Banketthalle, wo der metallene „Altar“ stand, auf Rod. „Wenn Ihr mir folgen würdet, Mylord?“
Sie kamen in einen Korridor. Voraus sah Rod das gespenstische Schimmern mehrerer Geister, die sich über etwas auf dem Boden beugten. Er hörte ein sehr menschliches, panikerfülltes Wimmern.
Horatio blickte bei Rods Näherkommen auf. Er löste sich vom Rest der Geister und schwebte auf Rod zu. Sein Gesicht war vor Grimm verzerrt. „Mann Gallowglass!“ polterte er. „Weshalb habt Ihr mir nicht gesagt, daß Ihr in Begleitung in unsere Gewölbe kamt?“
„In Begleitung?“ fragte Rod erstaunt. „Das wußte ich selbst nicht.“
„Nun, jemand folgte Euch dichtauf.“ „Excelsior!“ murmelte Rod.
„Gesundheit!“ sagte Loguire. „Ich fürchte, wenn wir weiterhin Sterbliche hier empfangen, müssen wir unsere Gewölbe beheizen. Aber wie ich sagte, ich fand Euren Dienstboten
direkt außerhalb der Banketthalle.“
„Dienstbote?“ Rod runzelte die Stirn.
„Es lauschte an der Tür. Und daß es zu Euch gehörte, wissen wir, weil es Euren Namen rief, als wir uns ihm näherten. Nur aus diesem Grund töteten wir es auch nicht, sondern schickten nach Euch.“
Loguire schwebte zur Seite und der Kreis der Geister öffnete sich. In ihrem kahlen Licht sah Rod langes dunkles Haar, eine weiße Bluse unter einem dunklen Mieder, und ein schreckverzerrtes Gesicht. Es war die Magd, die Gwendylon ähnlich sah.
„Mein Lord Loguire, diesen Dienstboten kann man doch wahrhaftig nicht mit,es' bezeichnen.“ Und dann sagte er mit sanftester Stimme: „Schau mich an, Mädchen.“
Sie hob den Kopf. Freude und Erleichterung überfluteten ihre Züge. „O mein Lord!“ wisperte sie. Sie warf die Arme um Rods Hals, und dicke Tränen perlten über ihre Wangen.
„Ruhig, ruhig, Mädchen.“ Rod bemühte sich, sich aus ihrer Umklammerung zu befreien, obgleich das Mädchen eine recht angenehme Last war.
Horatio Loguire verzog verächtlich das Gesicht. „Schafft sie aus meinen Gewölben, Mann. Es ist feucht genug hier, auch ohne ihren Wasserfall von Tränen.“
„Sofort, Mylord.“ Er holte ein Taschentuch aus seinem Ärmel und tupfte ihr das Gesicht ab. Er empfand eine unerklärliche Zärtlichkeit für sie und das Bedürfnis, sie zu beschützen.
„Ihr sitzt in der Falle, Mann!“ knurrte Horatio.
„Wer, ich? Das haben schon andere vergebens versucht.“
„Diesmal ist es gelungen. Und jetzt, hinaus mit ihr!“ Rod warf Horatio einen bösen Blick zu. Er hob das Mädchen, das sich offenbar nicht auf den Beinen halten konnte, auf die Arme, und wieder klammerte sie sich an seinen Hals. „Mein Lord“, wandte er sich noch einmal an den Obergeist. „Habt Ihr vielleicht die Güte, mich zu führen? Ich bin ein wenig
behindert…“
„Ja“, brummte Horatio und drehte sich um, doch zuvor war es Rod so, als husche die Spur eines Lächelns über das Geistergesicht.
Im bewohnten Burgteil stellte Rod das Mädchen wie der auf die Beine. Er mußte sich selbst eingestehen, daß er sie viel lieber noch länger auf den Armen getragen hätte. „Weshalb bist du mir gefolgt?“ fragte er.
Erschrocken blickte sie zu ihm hoch.
„Du mußt die Wahrheit sagen, Mädchen. Wer hat dich geschickt, mir nachzuspionieren?“
Sie hob den Kopf und schüttelte ihn heftig. „Niemand, Mylord!“
„Oh?“ Rod lächelte traurig. „Du willst doch nicht behaupten, daß du mir aus freiem Willen in die Spukgewölbe gefolgt bist!“
„Ich fürchte die Geister nicht, Mylord.“
Rod schaute sie überrascht an. Wenn das stimmte, hatte sie für eine Dienstmagd erstaunlichen Mut. Sie hatte, genau wie er, offenbar erst die Nerven verloren, als das schreckliche Ächzen anfing.
„Du hast mir noch nicht gesagt, weshalb du mir gefolgt bist.“
Sie biß sich erneut auf die Lippe, dann preßte sie die Worte widerwillig heraus. „Ich — ich fürchtete um Euch, Mylord.“
Rods Lippen verzogen sich zu einem trockenen Lächeln. „Um mich?“
„Ja!“ Jetzt sah sie ihn mit funkelnden Augen an. „Ich wußte ja nicht, daß Ihr ein Zauberer seid! Und ein Mensch — allein in diesen Gewölben…“ Sie senkte die Augen wieder.
Rod seufzte und drückte sie an sich. „Mädchen, Mädchen“, murmelte er. „Was hättest du denn schon tun können, um mir zu helfen?“
„Ich — ich kann ein wenig mit manchen Geistern umgehen, Lord. Ich hatte geglaubt…“
Rod schüttelte den Kopf. War es auf diesem verrückten
Planeten vielleicht üblich, mit Geistern zu verkehren? Er schloß die Lider und drückte seine Wange an ihr Haar. Er spürte ihren warmen, geschmeidigen Körper gegen seinen. Es war schön, sie zu halten, fast so schön wie Gwendylon… Er riß die Augen auf und starrte sie an. Er stellte sich die Gesichter der beiden Mädchen nebeneinander vor. Gwendylon mit dunkel gefärbtem Haar, die Augen ein wenig schräg gezogen, die Nase verlängert und gerade gezogen… Sie spürte seine Anspannung. „Was habt Ihr plötzlich, Lord?“ Ihre Stimme war ein wenig höher, hatte jedoch den gleichen Klang. Er schaute zu ihr hinunter. Ihr Teint war makellos, keine einzige Sommersprosse. Aber für ein Make-up brauchte man nicht unbedingt eine Technologie. Er deutete mit dem Zeigefinger zwischen ihre Augen. „Du“, sagte er, „hast mich beschwindelt!“
Einen flüchtigen Moment wirkte sie enttäuscht, doch dann schaute sie wieder völlig unschuldig drein. „Euch beschwindelt, mein Lord. Ich wüßte nicht…“ Rod tupfte auf ihre Nasenspitze und drehte den Finger ein wenig. Die Nasenspitze löste sich. Er lächelte grimmig. „Stärkemehl und Wasser! Das hättest du nicht zu tun brauchen, dein Himmelfahrtsnäschen gefällt mir viel besser.“ Er rieb mit der Fingerkuppe über die Augenwinkel, und schon waren die Augen nicht, mehr schräg, dafür war sein Finger schwarz. Kopfschüttelnd brummte er: „Na, hoffentlich bekommst du die Farbe auch so leicht aus deinem Haar! Ich verstehe nur nicht, warum du das gemacht hast! So wie die Natur es dir gegeben hat, ist dein Gesicht doch viel hübscher!“ Sie errötete. „Ich — ich konnte nicht ohne Euch sein, Herr.“ Er schloß die Augen und preßte die Zähne zusammen. Es kostete ihn alle Willenskraft, sie nicht an sich zu drücken. „Aber…“ Er mußte erst Luft holen. „Wie bist du mir gefolgt?“ Mit großen unschuldigen Augen schaute sie zu ihm hoch. „In der Tarnung eines Fischadlers, Lord.“