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Der Junge ging hinaus, um mit seinen Freunden zu spielen.

»Er braucht Ruhe und Stille«, sagte die Frau zu sich, und versuchte sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Sie verbrachte den Rest des Vormittages damit, einige Wörter zu Ende zu schreiben, für die sie sonst nur halb so lange brauchte, und fühlte sich schuldig, weil sie doch jetzt zum ersten Mal Gelegenheit hatte, für ihre Familie aufzukommen.

Sie widmete sich wieder ihrer Arbeit. Sie benutzte Papyrus, das ihr ein Kaufmann kürzlich aus Ägypten mitgebracht hatte, damit sie ihm einige Mitteilungen aufschrieb, die er nach Damaskus schicken wollte. Das Blatt war nicht von bester Qualität, und die Tinte zerfloß. >Trotzdem ist es besser, als auf Ton zu zeichnen.< In den Nachbarländern war es üblich, für Botschaften Tontafeln oder Tierhäute zu verwenden. Obwohl Ägypten jetzt unbedeutend und seine Schrift überholt war, war dort einst ein praktischer und leichter Schriftträger für Handels- und Geschichtsaufzeichnungen erfunden worden. Die Papyruspflanze, die am Nilufer wuchs, wurde in Streifen geschnitten und diese dann so verarbeitet, daß ein leicht gelbliches Blatt entstand. Akbar mußte Papyrus einführen, weil man die Pflanze im Tal nicht anbauen konnte. Papyrus war teuer, doch die Kaufleute mochten ihn lieber als Tontafeln und Tierhäute, da sie die beschriebenen Blätter in die Tasche stecken konnten.

>Alles wird einfacher<, dachte sie. >Schade, daß man die Erlaubnis der Regierung braucht, um mit Byblos-Schrift auf Papyrus zu schreiben.< Ein überholtes Gesetz verlangte, daß geschriebene Texte dem Rat von Akbar zur Kontrolle vorgelegt wurden.

Als sie mit ihrer Arbeit fertig war, zeigte sie sie Elia, der die ganze Zeit schweigend vor sich hingestarrt hatte.

»Wie gefällt dir das Ergebnis?« fragte sie.

Er schien aus einer Trance zu erwachen.

»Ja, es ist schön«, antwortete er zerstreut.

Er sprach wohl gerade mit dem Herrn. Und sie wollte ihn nicht unterbrechen. Sie ging hinaus und holte den Priester.

Als sie zurückkam, saß Elia immer noch auf derselben Stelle.

Geraume Zeit sagte niemand etwas.

Der Priester brach zuerst das Schweigen.

»Ihr seid ein Prophet und sprecht mit den Engeln. Ich deute nur die alten Gesetze, vollziehe Rituale und versuche mein Volk vor Fehlern zu bewahren. Deshalb ist dies kein Kampf zwischen Menschen. Es ist ein Kampf zwischen den Göttern, und ich kann mich ihm nicht entziehen.« »Ich bewundere Euren Glauben, obwohl Ihr Götter anbetet, die es nicht gibt«, entgegnete Elia. »Wenn die augenblickliche Lage, wie Ihr sagt, auf eine himmlische Schlacht hinweist, so wird mich der Herr als sein Werkzeug benutzen, um Baal und seine Gefährten vom Fünften Berg zu besiegen. Ihr hättet mich besser ermorden lassen.« »Ich habe daran gedacht. Doch es war nicht notwendig. Im entscheidenden Augenblick waren die Götter auf meiner Seite.« Elia gab keine Antwort. Der Priester wandte sich ab und nahm das Papyrus auf, auf dem die Frau gerade ihren Text zu Ende geschrieben hatte.

»Schön«, lobte er. Nachdem er es sorgfältig durchgelesen hatte, zog er seinen Ring vom Finger, tunkte ihn in eines der Tintenfässer und drückte sein Siegel in die linke Ecke. Wenn jemand mit einem Papyrus erwischt wurde, das nicht das Siegel des Priesters trug, konnte er zum Tode verurteilt werden.

»Warum müßt Ihr dies immer tun?« fragte sie.

»Weil diese Papyrusblätter Ideen transportieren«, antwortete er. »Und Ideen sind mächtig.« »Es sind aber doch nur Handelsgeschäfte.« »Aber es könnten auch Schlachtpläne sein. Oder eine Aufzählung unserer Reichtümer. Oder unsere geheimen Gebete. Heutzutage ist es mit den Buchstaben und dem Papyrus leicht, die Seele eines Volkes zu rauben. Tontafeln oder Tierhäute lassen sich schwer verstecken. Doch die Verbindung des Papyrus mit der Byblos-Schrift kann ein Volk um seine Kultur bringen und die Welt zerstören.« Eine Frau kam hereingestürzt.

»Priester! Priester! Kommt und seht, was passiert ist!« Elia und die Witwe folgten ihm. Leute strömten von überallher, hasteten alle in dieselbe Richtung, eine Staubwolke hinter sich herziehend, so daß man kaum noch atmen konnte. Die Kinder rannten lachend und grölend voraus, die Erwachsenen folgten schweigend und gemessenen Schrittes.

Als die vier beim Südtor anlangten, fanden sie dort eine kleine Menschenmenge versammelt. Der Priester bahnte sich einen Weg und suchte den Grund für die ganze Aufregung.

Ein Wachsoldat von Akbar kniete mit ausgebreiteten Armen, die Hände an einen Holzbalken genagelt, der über seinen Schultern lag. Seine Kleider waren zerrissen, das linke Auge von einem Holzpflock durchstoßen.

Auf seine Brust waren mit einem Dolch einige assyrische Schriftzeichen geritzt. Der Priester verstand Ägyptisch, doch die assyrische Sprache galt noch nicht als bedeutend genug, um sie zu lernen, und man mußte einen Kaufmann zu Hilfe rufen.

»Wir erklären den Krieg<, haben sie geschrieben«, übersetzte der Mann.

Die Umstehenden sagten kein Wort. Elia las Panik in ihren Gesichtern.

»Gib mir dein Schwert«, sagte der Priester zu einem der anwesenden Soldaten.

Der Soldat gehorchte. Der Priester befahl, den Stadthauptmann und den Kommandanten von dem Vorfall zu benachrichtigen.

Dann stieß er dem knienden Wachsoldaten blitzschnell die Klinge ins Herz.

Der Mann tat einen Seufzer und fiel tot zu Boden, frei von Schmerzen und von der Schande, dem Feind lebend in die Hände gefallen zu sein.

»Morgen werde ich zum Fünften Berg gehen und opfern«, sagte er zu der verstörten Menge. »Die Götter werden sich unser wieder erinnern.« Bevor er ging, wandte er sich an Elia: »Ihr seht es mit eigenen Augen. Der Himmel hilft uns immer noch…« »Erlaubt mir nur eine Frage«, sagte Elia. »Warum soll das Volk Eures Landes geopfert werden?« »Weil das notwendig ist, um eine Idee auszurotten.« Seit Elia ihn am Vormittag mit der Frau hatte reden sehen, wußte er, welche Idee gemeint war: das Alphabet.

»Es ist zu spät. Es ist bereits über die Welt verbreitet, und die Assyrer können nicht die ganze Erde erobern.« »Wer sagt, daß sie das nicht können? Schließlich können ihre Truppen auf die Götter des Fünften Bergs zählen.« Wie am Vortag wanderte Elia viele Stunden lang durch das Tal.

Mindestens einen Nachmittag und eine Nacht würde der Frieden noch dauern; kein Krieg begann im Dunkeln, denn nachts konnten die Krieger den Feind nicht erkennen. In dieser Nacht, das wußte er, gab ihm der Herr die Chance, das Schicksal der Stadt zu wenden, die ihn aufgenommen hatte.

»Salomo wüßte jetzt, was er zu tun hätte«, meinte er zu seinem Engel. »Und David und Mose und Isaak auch. In sie hatte der Herr sein Vertrauen gesetzt, ich dagegen bin nur ein unschlüssiger Diener, den der Herr vor eine Wahl stellt, die Er eigentlich selbst treffen müßte.« »Die Geschichte unserer Vorfahren scheint immer von rechten Männern zu wimmeln, die zur rechten Zeit am rechten Ort waren«, entgegnete der Engel. »Aber merk dir: Der Herr verlangt von jedem nur das Mögliche.« »Dann hat Er sich in mir geirrt.« »Alles Leid, das kommt, vergeht auch wieder. So verhält es sich auch mit dem Ruhm und den Tragödien.« »Ich werde es mir merken«, sagte Elia. »Doch Tragödien hinterlassen sichtbare Spuren und Ruhm belanglose Erinnerungen.« Der Engel antwortete nicht.

»Warum konnte ich in Akbar bisher keinen finden, der mit mir für den Frieden kämpft? Was vermag ein einzelner Prophet?« »Was vermag die Sonne, die einsam über den Himmel wandert? Was vermag ein Berg, der sich mitten im Tal erhebt?

Was vermag ein einsamer Brunnen? Und doch weist jeder der Karawane den Weg.« »Mein Herz erstickt vor Trauer«, sagte Elia, indem er niederkniete und seine Arme zum Himmel reckte. »Könnte ich doch hier sterben und müßte meine Hände nie mehr mit dem Blut meines oder eines fremden Volkes beflecken. Blickt zurück: Was seht Ihr?« »Du weißt doch, ich bin blind«, gab der Engel zurück. »Weil meine Augen noch immer voll der Herrlichkeit Gottes sind, kann ich nichts anderes sehen. Alles, was ich aufnehmen kann, ist, was dein Herz mir erzählt. Alles, was ich sehen kann, ist das Beben der Gefahren, die dir drohen. Ich kann nicht wissen, was hinter dir liegt.« »Dann werde ich es Euch sagen: Dort liegt Akbar, wunderschön in der Abendstunde, im Licht der untergehenden Sonne. Ich habe mich an Akbars Straßen und Mauern gewöhnt, an sein großherziges, gastfreundliches Volk. Auch wenn die Bewohner der Stadt im Handel und in Aberglauben befangen sind, ist doch ihr Herz so rein wie irgendein anderes in der Welt.

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