Diese Arbeit thematisiert die evolutive, also die einen volkerrechtlichen Vertrag insgesamt weiterentwickelnde Auslegung. Somit bewegt sie sich an der Schnittstelle zwischen einem voluntaristischen und einem den Legislativcharakter multilateraler Vertrage betonenden Volkerrechtsverstandnis. Am Beispiel des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) wird dabei das komplexe Verhaltnis zwischen Welthandel und Umweltschutz dargelegt. Den entscheidenden Wendepunkt in der Wechselbeziehung von Welthandel und Umweltschutz markiert die Rechtsprechung des Appellate Body im Shrimps-Meeresschildkroten-Fall aus dem Jahr 1998. In dieser Entscheidung machte die WTO-Rechtsmittelinstanz deutlich, dass das GATT ein dynamisches Vertragswerk darstellt, das nur im Zusammenhang mit dem umweltvolkerrechtlichen Umfeld zu verstehen ist. Auf diese Weise gelang es dem Streitbeilegungsorgan, den internationalen Handel weitgehend in Einklang mit einem zeitgemassen Umweltschutz zu bringen. Dieser einschneidende und richtungsweisende Schiedsspruch wirft die Frage auf, ob und inwieweit die evolutive Auslegung von Vertragen in der Praxis anerkannt und ferner mit den gewohnheitsrechtlich geltenden Regeln der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) zu vereinbaren ist. So erortert und analysiert die Untersuchung exemplarisch Entscheidungen internationaler Organe und beleuchtet sowohl Voraussetzungen als auch Grenzen einer evolutiven Auslegung.